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[❦019] Nebenfiguren sind das Herz einer Geschichte

Hallo Leseheld,


du kennst das bestimmt: Ein Fantasy-Epos ohne gute Nebenfiguren ist wie ein Zwerg ohne Axt – theoretisch möglich, aber niemand will das lesen. Heute plaudern wir deshalb darüber, warum gerade die sogenannten „Supporting Characters“ das unsichtbare Tragwerk einer starken Geschichte bilden – auch (oder besonders) in Not the Hero. Lass uns ein paar Drachen der Schreibtheorie erlegen!



Kapitel 1 - Warum braucht eine Geschichte Nebenfiguren?

Unser Gehirn liebt Interaktion. Studien zur Rezeption von Literatur zeigen, dass Dialoge und Konflikte deutlich mehr Emotionen auslösen als reine Erzählerpassagen. Autor*innen nutzen diesen Reflex gezielt: Ein interessanter Sidekick fungiert als Katalysator, Spiegel und Welt­anker in einem. Schreibcoach Libby Page (thenovelry.com) fasst es so zusammen: Eine unterstützende Figur soll die Handlung nach vorne treiben und gleichzeitig ihre eigene kleine Geschichte erzählen – sonst verpufft ihr Potenzial.


  1. Katalysator – Nebenfiguren reißen den Protagonisten aus der Komfortzone, eröffnen neue Handlungsstränge oder zünden einen dramatischen Konflikt.

  2. Spiegel – Durch Zustimmung oder Widerspruch zeigen sie Facetten in der Hauptfigur, die ohne Außen­blick verborgen blieben. Sie dienen dabei als Spiegel oder auch Helden-Echo, das uns den Protagonisten näher bringt und zeigt, wer er tatsächlich ist.

  3. Stimmungs­regler – Sie dosieren Humor, Romantik oder Furcht, ohne dass der Plot zum erklärenden Monolog mutiert. Dank ihrer Stimmen wechseln Szenen elegant zwischen Stimmungen, die den Leser unterhalten sollen.

  4. World-Building-Anker – Händler, Priester oder Wachen füllen Kulissen mit echtem Leben; ihre Dialekte, Berufe und Rituale vermitteln Weltgefühl, während der Held gerade anderweitig beschäftigt ist. So wirkt die Welt lebendig und nicht wie eine reine Pappkulisse.


Fehlen diese Rollen, schrumpft jede noch so fantastische Welt zur blank polierten Deko.


Psychologisch betrachtet lernen Leser die Hauptfigur also erst richtig kennen, wenn jemand daneben­steht, der sie bestätigt, ihnen widerspricht oder in Verlegenheit bringt. Ohne sie gibt es keinen Katalysator, keinen Spiegel, keine emotionale Kontrast­farbe. Stell dir Bilbo ohne Gandalf vor oder Harry ohne Hermine – plötzlich müsste der Held selbst alle Fragen stellen, alle Witze reißen und alle Türen eintreten. Kurzum: gähn.



Kapitel 2 - Plot-Device oder Persönlichkeit

Viele Figuren tauchen auf, helfen kurz weiter und verschwinden wieder. Das ist völlig legitim, solange sie klar als Werkzeug gekennzeichnet sind. Ein „alter Mönch“, der dem Helden den geheimen Tunnel zeigt und nie wieder erwähnt wird, bleibt ein Plot-Device. Das Problem entsteht erst, wenn eine ständig wiederkehrende Gestalt keinerlei Eigenleben hat: Dann wirkt sie wie ein schlecht getarnter Hebel der Autoren.


  • Plot Device – taucht auf, erledigt eine simple Handlung (Schlüssel bringen, Hebel ziehen), verschwindet. Okay für einmalige Hürden. Kann auch jemand sein, der dem Proatgonisten kurz den Weg zum Gasthaus zeigt, dabei aber nur wenig bis gar keine Persönlichkeit zeigt.

  • Walk-On-Character – hat ein quirliges Detail, liefert einen kurzen Dialog und zieht wieder ab. Würzt, ohne sich aufzudrängen. Er fällt auf und bietet einen Erinnerungswert. Wird später vielleicht sogar nochmal erwähnt, weil der Protagonist an die Situation zurückerinnert. Bleibt aber trotzdem flach und für den Hauptplot unrelevant.

  • Relevante Nebenfigur – verfolgt ein eigenes Ziel, hat Haltung und eine Meinung. Sie taucht mehrfach auf und beeinflusst Wendepunkte. Hier lohnt sich Charakter­arbeit und sollte mehr wie ein Mini-Protagonist betrachtet werden um der Figur Tiefe zu verleihen.


Deshalb wird empfohlen , bei jeder Nebenrolle drei Ebenen zu prüfen – Funktion, Tiefe und Handlungs­kraft. Erst wenn alle drei vorhanden sind, mutiert das namenlose Zahnrad zur echten Figur. Sie erhält echten Mehrwert für die Geschichte und die Welt.


  • Die Funktion stellt sicher, dass die Figur wirklich gebraucht wird; sie muss einen konkreten Beitrag zur Handlung leisten, der über unbedeutende Kleinigkeiten hinausgehen.

  • Tiefe heißt: eigene Geschichte, eigene Widersprüche. Sie hat ein Ziel, das entweder konträr mit dem des Protagonisten läuft, was dann zu Konfikten führen kann. Oder es stimmt damit überein und die Figur ist ein potentzieller Verbündeter. Das Ziel kann aber tatsächlich auch in eine ganz andere Richtung gehen und nur für einen Moment in die gleiche Richtung führen. Laut Writing Excuses (writingexcuses.com) halten gerade kleine innere Konflikte den Charakter frisch – ein tapferer Gardist mit Höhenangst bleibt länger im Kopf als der stereotype „tapfere Gardist“.

  • Die Handlungs­kraft sorgt dafür, dass sie nicht nur reagiert, sondern Entscheidungen trifft. Erst wirklich aktive Figuren, können den Plot beeinflussen. Vielleicht bietet sie dem Protagonisten auch eine Entscheidung an und sorgt dafür für einen Scheideweg der Geschichte.


Beispiel Marzy Zauvek: Sie ist eine Nebenfigur aus meinem Buch "Not the Hero". Ihr Übergeordnetes Ziel hat grundsätzlich erst mal nichts mit Sams Reise zu tun. Doch als sie aufeinander treffen, bemerken sie, dass sie das gleiche Zwischenziel haben. Auf dem Weg dorthin lernt man sie besser kennen und durch ihr Wissen bietet sie den Protagonisten Informationen, an die sie sonst nicht gekommen wären. Durch sie erfährt der Protagonist, weshalb er in dieser Welt gelandet ist. Später fungiert sie außerdem als jemand, der dem Protagonisten einen Ausweg aus einer schwierigen Situation bietet. Was zu einer Entscheidung führt, die eine große Bedeutung für die restliche Geschichte birgt.



Kapitel 3 - Der erweiterte Relevanz-Test

Vor jeder neuen Rolle frage ich heute nicht mehr nur „Braucht der Plot sie?“, sondern arbeite einen Vier-Stufen-Filter ab, den ich mir aus Schreibratgebern und eigener Erfahrung zusammen­gebaut habe:


  1. Impuls – löst die Figur eine Veränderung aus, die für den Hautplot relevant ist? Ohne Gollum würde Frodo den Weg zum Schicksalsberg nicht finden und in "Not the Hero" fände ohne Marzy keine ethische Zerreißprobe für Sam statt.

  2. Kontrast – zeigt sie Facetten des Helden, die sonst verborgen blieben? In meinem Buch ist es der Zwerg Tuaghs, der maßgeblich dazu beiträgt, dass Sam versteht welche Aufgabe er zu erfüllen hat und ihn dabei unterstützt das umzusetzen. Er hilft ihm zu erkennen, wer Sam, unter all seinen Masken, wirklich ist.

  3. Themen-Resonanz – schlägt ihr persönlicher Konflikt denselben Akkord wie das Hauptmotiv? Also, unterstreicht sie Kernfragen der Geschichte?

    Das passiert zum Beispiel, indem sie eigene Erfahrungen mit Verlust oder Heimat erzählen, die den Protagonisten an eigene Konflikte erinnern.

  4. Selbstwirksamkeit – trifft sie eigene Entscheidungen, die das Ergebnis verändern? Also wirkliche Entscheidungen, nicht nur "Was esse ich heute zum Mittag?". Sondern welche in der Art, wie "Helfe ich dem Protagonisten dabei eine Armee auszustellen?". Gut, nicht jede Entscheidung muss derart krass sein, aber sie muss Bedeutung haben. Für den Protagonsiten und den Plot.


Erst wenn eine Rolle drei dieser vier Kästchen ankreuzt, darf sie bleiben. Andernfalls verschmelze ich sie mit einer schon vorhandenen Figur oder lasse sie nur als stummes Plot-Device auftreten. Das klingt hart, rettet aber Tempo, Übersicht – und letztlich die Glaubwürdigkeit. Die Geschichte lebt durch charakterstarke Figuren, nicht durch gesichtslose Schaufensterpuppen.


Wie das in der Praxis aussieht? Mazry ist nur kurz Teil der Reise, erfüllt aber alle vier Punkte: Sie bietet Sam die Möglichkeit zum Handeln (Impuls) und stellt damit gleichzeitig seine Moral infrage (Kontrast). Sie personifiziert das Thema Verantwortung (Resonanz) indem sie ihm etwas über den Preis der Magie lehrt und trifft eigene Entscheidungen, im Raum ihrer Möglichkeiten (Selbstwirksamkeit). Deshalb fühlt sich ihre Präsenz groß an, obwohl sie selten im Bild ist – ein kleiner Auftritt, der lange nachhallt.



Kapitel 4 - Fünf Zutaten, die Nebenfiguren unvergesslich machen

Nebenrollen leben also nicht nur von der Bildschirmzeit, sondern vor allem durch ihre Wirkung. Damit das klappt, findest sind hier fünf Schritte um Nebendarsteller zum Fan-Liebling zu machen.


Eigenes Ziel Ob Rache, Ruhm oder die perfekte Hefeschnecke – ein klarer Wunsch lässt eine Figur lebendig wirken. Selbst wenn er nie ganz erfüllt wird, treibt er ihr Handeln glaubhaft an. Dafür muss das Ziel nicht mit dem des Helden übereinstimmen und nicht mal zum Plot selbst beitragen.


Ecken und Kanten Macken, Dialekte oder moralische Grauzonen brennen sich ins Leserhirn. Der Star-Trek-Spock wäre ohne kühle Logik nur ein weiterer Offizier auf der Brücke. Haben Figuren Besonderheiten, kann man sich auch mit ihnen identifizieren. Noch schöner als die bloße Existenz der Ecken und Kanten, ist eine Verwebung mit der Handlung. Und wichtig: wird die Figur allein auf diese Merkmale reduziert verliert sie ihre Besonderheit wieder. Trinkt jemand ständig und in jeder noch so absurden Situation Kaffee kann das ganz witzig sein, solange die Nebenfigur auch noch andere Charaktereigenschaften hat. Hat sie das nicht, werden Leser gelangweilt sein.


Entwicklung Ein minimaler Wandel – Vorurteil abbauen, Mut gewinnen, Albtraum überwinden – zeigt, dass die Person atmet und reagiert. Sie muss nicht die Welt verändern, aber die Figur sollte am Ende etwas aus dem erlebten für sich mitgenommen haben.


Chemie mit dem Helden Ob Bromance oder erbitterter Clinch: Reibung erzeugt Funkenschlag. Seitenlange Exposition wird plötzlich Dialog, und Dialog ist immer schneller gelesen als Gedanken-Monologe. Es bringt Dynamik in die Handlung und lässt Leser mitfibern.


Spotlight-Moment Es ist eher optional, weil nicht jede Geschichte Raum dafür bietet, alle Nebeniguren ins Spotlight zu stellen. Aber eine Szene, in der nur diese Figur eine Katastrophe abwendet, bietet einen enormen Push. Es löst den Sidekick aus der Masse und kann für Begeisterung sorgen.



Kapitel 5 - Typische Stolperfallen und elegante Auswege

Zu viele Nebenfiguren sorgen schnell für Stau: Man verwechselt Namen, verliert die Übersicht, fragt sich am Ende, warum niemand mehr erinnert, wer „Gurt der Drittgeborene“ war. Ebenso fatal ist die „Infodump-Nebenfigur“, die nur da ist, um Geschichten auszurollen wie einen roten Teppich. Leser wollen Charakter, keinen Ansage­dienst. Und der Dauerklamauk-Sidekick, der jede ernste Szene sprengt? Auch der braucht spätestens im Finale einen stillen, echten Moment, sonst kippt das Gleichgewicht.


Figuren-Inflation

Zu viele Namen verwirren. Lösung: Mehrere Funktionen in einer Figur bündeln, bis jede Stimme erkennbar bleibt. Biete den Lesern Anker. Mit jeder Besonderheit, die nur dieser eine Charakter hat, desto leichter fällt es dem Leser, sich an die Figur zu erinnern, selbst wenn der Name vergessen wird.


Expositions-Esel

Eine Nebenrolle, die nur Weltwissen auskippt, wirkt wie ein klappernder Projektor oder ein belehrender Professor. Das ist nicht wirklich spannend, noch weniger, wenn das alles im Monolog stattfindet. Häppchenweise ist okay, aber niemand mag Infodumping! Und es bleibt länger spannend, wenn man eben nicht alles schon weiß.


Dauerklamauk

Ein Nebencharakter, der alles ins Lächerliche zieht, untergräbt Drama und lässt sie Figur eindimensional wirken. Gönn ihm einen ernsten Moment, oder eine Situation in der er ohne Klamauk glenzen kann. Sobald Leser*innen sehen, dass er auch anders kann, verzeiht man ihm jeden schlechten Kalauer. Übertreiben sollte man es trotzdem nicht.


Phantom-Abgang

Figuren, die einfach verschwinden, hinterlassen dramaturgische Löcher. Kurzer Abschiedsbeat oder Off-Screen-Verweis reichen, um die Glaubwürdigkeit zu wahren. In einigen Genre sind gerade Charaktertode sehr beliebt, um eine Nebenfigur loszuwerden, die ihre Aufgabe erfüllt hat. Kann man machen, sollte man aber gut durchdenken. Denn der Tod der Figur sollte einen Zweck erfüllen, wie z.B. die Weiterentwicklung des Protagonisten. Erfüllt das Ableben keinen Zweck, wird er von Lesern negativ aufgenommen. Aber nicht im Sinne von Trauer, weil eine geliebte Figur stirbt, sondern weil sie unnötig gestorben ist.



Kapitel 6 - Fazit – Nebenfiguren als tragende Säulen

Gut geschriebene Nebenfiguren sind das unsichtbare Gerüst einer Geschichte. Sie federn das Gewicht großer Themen ab, halten Spannung in Bewegung und verleihen der Welt Textur. Verzichte auf sie, und dein Held stolpert durch eine leere Kulisse. Schenk ihnen Ziele, Kanten und Entscheidungsgewalt, und sie tragen deinen Epos, wenn der Protagonist schwankt.


Falls du erleben möchtest, wie das klingt, wirf einen Blick in die kostenlose Leseprobe von Not the Hero. Schon in den ersten Kapiteln beweisen fantastische Nebenrollen, wie unvergesslich Figuren sein können und wie schnell sie sich in unsere Herzen schleichen.


Viel Spaß beim Schmökern und Schmieden!

Dein Jerry




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