[❦022] Was steckt in der Fantasy-Garderobe?
- Jeremy
- vor 6 Tagen
- 14 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 11 Minuten
Hallo Leseheld,
ob wallender Mantel, abgewetzte Lederweste oder funkelndes Elfenbrokat: In kaum einem Genre verrät die Garderobe so viel über Welt, Figur und Stimmung wie in der Fantasy-Literatur. Doch warum sehen so viele Held*innen immer noch aus, als kämen sie frisch vom Mittelaltermarkt? Welche Rolle spielt Mode beim Worldbuilding, und wie nutzt man Kleidung, um Charaktere sofort einzuordnen? Lass uns Stoffe, Schnallen und Symbolik einmal näher unter die Lupe nehmen.

Kapitel 1 - Die Klassiker der Fantasy-Garderobe
Wenn Leser*innen heute ein neues High-Fantasy-Buch aufschlagen, ist die Chance hoch, dass sie auf Figuren stoßen, die aussehen, als wären sie aus einem mittelalterlichen Handelssimulator entsprungen: lockere Tunika aus groben Leinen, darüber eine geschnürte Lederweste, an den Schultern vielleicht ein schickes Kettenhemd oder vernietete Schuppen, und um alles legt sich ein wadenlanger Kapuzenmantel in erdigen Farben. Dieses Grundoutfit hat sich seit den 1970ern so fest in der kollektiven Vorstellung verankert, dass es fast als Genre-Uniform gilt – doch warum eigentlich?
Der erste Grund ist Erkennbarkeit. Tunika und Lederriemen sind für heutige Augen sofort als „vorindustriell“ lesbar, aber sie sind weder spezifisch feudale Adelskleidung noch bäuerliches Lumpenzeug. Diese Mehrdeutigkeit erlaubt Autor*innen, sozial und kulturell heterogene Gruppen in ein visuelles Koordinatensystem zu packen, das Leser*innen ohne lange Beschreibung verstehen. Gleichzeitig wirkt die Kombination „robuste Leinen + Leder + Wolle“ praktisch: Man kann damit durch Wälder schleichen, Gebirge erklimmen und am Lagerfeuer schlafen, ohne alle zwei Seiten ein neues Gewand erwähnen zu müssen.
Zweitens greift die Tunika-Lederrüstung-Mischung auf ein breites Spektrum realhistorischer Vorbilder zurück und verschafft dem Worldbuilding damit einen Anker in der Wirklichkeit. Von der römischen Subarmalis, ein römisches Panzerunterkleid, über die Wikinger-Kittel bis zu frühen Renaissance-Wämsern findet sich ein archetypischer, knielanger Überwurf mit seitlicher Schnürung in beinahe jeder Kultur. Fantasy-Texte und -Illustrationen können also an ein bereits vorhandenes Bildgedächtnis andocken und sparen Erklärarbeit. Das gleiche gilt für Leder. In Romanen vermittelt Bardingleder zugleich Handwerk, Abenteuerlust und eine gewisse Bodenständigkeit – ein reicher Höfling trägt Samt, ein Gelehrter Wolle, aber die im Mittelreich erprobte Abenteurertruppe trägt Kernleder.
Drittens stammt die optische DNA moderner Fantasy aus Quellen, die selbst schon Kompromisse zwischen historischem Realismus und Produktionsbudget eingehen mussten. Die ersten Dungeons-&-Dragons-Illustrationen wurden in den 1970ern von Kunststudierenden gezeichnet, die sich an erschwinglichen Renaissance-Messen und an Tolkien-Coverbildern orientierten. Hollywood-Produktionen recycelten vorhandene Kostümfundus-Bestände aus Italo-Mittelalter-Filmen, weil kaum Budget für echte Rekonstruktionen des 12. Jahrhunderts vorhanden war. Die filmischen Bilder prägten wiederum Cover-Artwork und Concept-Art, sodass der vermeintliche „Mittelalterlook“ zum sich selbst erhärtenden Standard wurde. Mit jeder neuen Generation verstärkte sich das Echo: Leser*innen erwarteten Lederweste und Kapuze – also lieferten Verlage genau das, um das Cover „als Fantasy“ erkennbar zu machen.
Schließlich spielt die Farbe eine unterschätzte Rolle. Erdtöne, Grau, gedecktes Grün oder gedämpftes Weinrot helfen, Figuren glaubwürdig in natürliche Umgebungen einzubetten. Gleichzeitig symbolisieren sie Neutralität, sodass Held*innen später optisch „aufrüsten“ können: Silberner Plattenharnisch für den Ritterschlag, purpurner Samt für den Hof, tiefschwarze Panzerung für den moralischen Absturz. Die schlichte Basisgarderobe verwandelt sich so in eine Leinwand, auf der Charakterentwicklung in Stoff, Leder und Metall sichtbar wird.
Kurz gesagt: Die klassische Fantasy-Montur aus Tunika, Leder und Mantel hat sich gehalten, weil sie eine narrative Universalformel erfüllt: historisch plausibel, funktional, leicht visualisierbar und flexibel genug, komplexe Figurenreisen abzubilden. Wer sie nutzt, bedient vertraute Signale – wer sie bewusst bricht, setzt starke Akzente im Worldbuilding.
Kapitel 2 - Eine Modereise durch die Zeit
Ursprünglich beginnt alles in den 1930er- und 1940er-Jahren, als J. R. R. Tolkien seine Mittelerde-Handschriften mit feinen Aquarellskizzen versieht. Diese Bilder – Hügelgräber in Nebelgrau, zottelige Reisemäntel in Olivgrün – verbreiteten sich erst langsam, hinterließen aber einen starken Abdruck: Wer den „Herrn der Ringe“ las, konnte sich kaum noch einen Helden ohne wetterfeste Umhangkapuze vorstellen.
In den 1950ern würzten britische Cover-Illustratoren wie Pauline Baynes das Setting mit leuchtender Heraldik, doch die Grundestetik blieb ländlich, funktional, erdig.
Einen echten Turbo erhielt der Look in den 1970ern durch Dungeons & Dragons. Die frühen Regelhefte waren zwar textlastig, enthielten aber kleine Schwarzweißzeichnungen von Abenteurern – meist bärtige Typen in Lederwams und Kettenärmel, daneben Elfen in geschlitzten Waffenröcken. Weil die Bilder als Mini-Referenzen in jede Runde kopiert wurden, wucherte die Ästhetik binnen weniger Jahre in Tausende Hobbyzeichnungen, Fanzines und Con-Badges. Was auf billigem Offsetpapier startete, prägte Jahrzehnte Fansubkultur.
Parallel dazu suchte Hollywood nach halbwegs bezahlbaren Kostümen für Fantasy-B-Movies. Studios wie Cannon Films plünderten italienische Historiendramen und römische Sandalenepen aus den 1960ern, deren Kostüme wiederum eine Mischung aus Spätmittelalter und Barock waren. Leder-Fetisch kam hinzu, weil Kunstleder damals günstig war und im Studiolicht gut aussah. Wenn in „Conan der Barbar“ ein Spangenhelm auf einen Lendenschurz trifft, hat das mehr mit Funduskompromiss als mit Archäologie zu tun – doch Millionen Kinobesucher verankerten dieses Bild als „so sieht ein Fantasy-Krieger aus“.
In den 1990er- und 2000er-Jahren multiplizierten Computerspiele den Effekt. Entwickler brauchten klare Silhouetten, die auf 32×32-Pixel-Sprites erkennbar blieben. Kapuzen-Assassinen, Schulterplatten-Paladine und Lederriemen-Schurken eigneten sich perfekt: wenige Farben, markante Umrisse. Gleichzeitig erschien in Deutschland das Rollenspiel „Das Schwarze Auge“, dessen Aventurien-Illustrationen – erneut Tunika, Leder, Mantel – auf Cover, Sammelkarten und Regelwerken auslagen. Fast jede Buchhandlung erklärte so, oft unbewusst, das mittelalterlich anmutende Outfit zum Standardvisum ins Fantastische.
Danach kam der Boom der „Grimdark Fantasy“. Autoren wie Joe Abercrombie oder George R. R. Martin verbanden realpolitische Härte mit visuellen Zitaten aus Spätmittelalter und Reformationszeit. Serien-Adaptionen wie „Game of Thrones“ setzten diese Optik weltweit in Bewegtbild um, mit Kostümen, die bewusst auf robuste Wolle, gehärtetes Leder und abgetragene Fellbesätze statt glänzender Metallrüstung setzen. Dass Millionen Zuschauer*innen danach das gleiche beim Lesen erwarten, überrascht kaum – die popkulturelle Konditionierung ist flächendeckend.
Kapitel 3 - Kleidung als Charakterkompass
In der Fantasy-Literatur spricht ein Wams oft lauter als ein halbes Kapitel innerer Monolog. Wenn der Leser zum ersten Mal auf eine Figur trifft, registriert er instinktiv Farbe, Material und Zustand ihrer Kleidung – und zieht daraus Schlüsse über Herkunft, Moral und Temperament, lange bevor die Figur den Mund öffnet. Ein abgewetzter Lederkoller mit flickenhaften Reparaturnähten erzählt von jemanden, der mehr Zeit über Lagerfeuern als an Hofbällen verbringt, der sein Geld lieber in Pferdefutter steckt als in Stickereien und für den praktische Bewegungsfreiheit über Statussymbole geht. Ein karmesinroter Samtrock, gesäumt mit Goldfäden, signalisiert in derselben Sekunde Reichtum, Nähe zur Macht und eine gewisse Distanz zur harten Realität der Straße. Selbst Details wie das Strammziehen einer Gürtelschnalle verraten Haltung: Eine Heldin, die vor jeder Schlacht die Riemen nachzieht, wirkt vorbereitet, kontrolliert, vielleicht ein wenig kontrollierend.
Farben tragen zusätzliche Bedeutungsschichten. Schwarz steht im westlichen Farbcode für Autorität oder Gefahr; ein Assassine in mattiertem Schwarz verschwindet nicht nur optisch, sondern moralisch in der Grauzone. Umgekehrt macht ein unerwartet helles Gewand misstrauisch. Wenn ein angeblicher Mönch in makellosem Weiß durch ein Kriegsgebiet schlendert, fragt sich der Leser automatisch: ist diese Reinheit Täuschung, Schutz durch göttliches Ansehen oder das Resultat übernatürlicher Kräfte? Autoren nutzen solche Farbbrüche bewusst, um Aufmerksamkeit auf Charaktere zu lenken, deren wahres Wesen erst allmählich enthüllt wird.
Auch Verschleißgrad und Improvisation dienen als biografische Kurzschrift. Die abgerissene Uniformkappe eines Deserteurs, hastig mit einem fremden Wappenflicken übersetzt, erzählt von Ehre, Flucht und Identitätskonflikt, ohne ein Wort zu verschwenden. Manchmal verrät der Wechsel der Garderobe die innere Wandlung stärker als jede Selbstreflexion. Ein junger Dieb, der im Finale seine schäbige Kapuze gegen eine ordentliche Söldnerjacke tauscht, zeigt damit, dass er Verantwortung übernimmt und seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat. Genau dieses visuelle Wachstum macht Verwandlungen glaubhaft: Die Leserin sieht, dass der Charakter buchstäblich in ein neues Leben hineinschlüpft.
Selbst Accessoires können laut werden. Ein säuberlich geflickter Schultertornister sagt, dass sein Träger wert auf Ordnung legt oder sich keinen neuen leisten kann; ein Wanderstab mit Metallkappe weist sofort Magier oder Pilger aus. Waffen werden zu tragbaren Signets: Die elegante Rapierscheide mit Gravur betont Adelstraining, eine improvisierte Axt aus Wagenrad und Eisenband dagegen rohen Überlebensinstinkt. Und wenn eine Figur all diese Codes bricht – etwa ein König, der barfuß und in grobgesponnener Tunika über den Markt geht – entsteht sofort Spannung, weil Leser*innen die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität dechiffrieren wollen.
Darum ist Kleidung mehr als Dekor: Sie ist ein Dialog zwischen Figur und Publikum, eine stumme Vorstellung noch vor der ersten formellen Szene. Ein bewusster Einsatz der Garderobe ermöglicht, Persönlichkeitszüge, soziale Stellung und innere Konflikte in Sekunden zu vermitteln – und jedes spätere Kapitel kann an diesen ersten nonverbalen Eindruck anknüpfen oder ihn, wenn es dramaturgisch lohnt, gezielt unterlaufen.
Kapitel 4 - Mode als Worldbuilding-Motor
Kleidung ist in der Fantasy unauffälliger Erzähler und stiller Kartograf zugleich. Noch bevor eine Landkarte aufklappt oder ein Wirtshausgespräch den ersten Geschichtsfetzen liefert, verrät der Stoff am Körper einer Figur fast alles über Klima, Ressourcen, Religion und Technologie dieser Welt. Trägt eine Karawanenführerin hauchdünne, locker gefaltete Stoffbahnen in Sandfarben, entsteht sofort die Ahnung von Wüstenhitze, knappem Wasser und Handelsrouten, auf denen leichte Kleidung über Leben und Hitzschlag entscheidet. Tauscht man dasselbe Design gegen einen knielangen Pelz, weht stattdessen Polarwind zwischen die Zeilen – Leser*innen fühlen die Temperatur, ohne dass das Thermometer benannt wird.
Ein zweites großes Weltenpuzzleteil sind Färbemittel. Ein grellvioletter Mantel im Mittelalter-Setting signalisiert unweigerlich Reichtum, denn das historische Purpur kostete mehr als Gold. In einem fiktiven Reich, das solche Farben häufig zeigt, muss also entweder ein neuer Farbstoff existieren oder es gibt ein mächtiges Handelsmonopol, das ganze Fürstentümer finanziert. Allein die Palette einer Hofgesellschaft kann auf Netzwerke zwischen Gewürzinseln, Alchimisten und Seidenzüchtern hinweisen – oder ihr Fehlen auf politischen Isolationismus.
Auch Materialwahl erzählt von Technologien und Rohstoffvorkommen. Kettenpanzer setzt Stahlschmieden voraus, die Tausende exakt gestanzte Ringe produzieren können; Schuppenpanzern aus Drachenschuppen liegen hingegen mythische Jagden oder Magie zugrunde. Sehen wir stattdessen geflochtene Bastpanzer oder Lamellen aus Hartleder, ahnen wir knappe Erzadern oder Schmiedekunst im Frühstadium. Autoren nutzen solche Details, um vormodernes Weltgeschehen greifbar zu machen: Wo Erz begrenzt ist, wird Metall heilig und jede Eisenklammer zum Statusobjekt.
Soziale Hierarchien hängen oft buchstäblich an der Naht. Ein Land, in dem die Farbe Rot der Königsfamilie vorbehalten ist, zeigt damit eine Kodex- oder Kastengesellschaft; die Strafe für falsche Ärmel kann höheren Einsatz spüren lassen als jede Steuer. Umgekehrt kann das Fehlen solcher Regeln eine egalitäre Kultur signalisieren. George R. R. Martin illustriert nördliche Knappheit, indem er die Starks in grobe Wolle steckt, während südliche Höflinge in Brokat und Stickerei flanieren – der Stoffwechsel zwischen Norden und Süden wird dadurch Politik in Textilform.
Religion schreibt sich ebenso ins Gewand. Priester*innen in bodenlangen, mönchsförmigen Habitmänteln verheißen Askese und Demut, eine schillernde Ornat-Schulter voller Goldfäden dagegen weltliche Machtansprüche der Kirche. Selbst kleine Accessoires wie gestickte Runen oder Edelsteine, die nur in Ritualen aufleuchten, können eine unsichtbare Liturgie anklingen lassen.
Und zuletzt verrät Kleidung die Zeitachse. Knöpfe verlangen Metallguss und Massenproduktion, Reißverschlüsse kulinarische Chemie, feingliedrige Spitze einen gewissen Freizeitüberschuss. Eine Fantasywelt, in der Bauern Leinenhemd und Plastikknöpfe mischen, fordert den Leser auf, über Technologieflüsse und vielleicht auch Zeitportale nachzudenken.
Kapitel 5 - Ein Beispiel: Der universelle Charme des Baretts
Das Barett hat seine Wurzeln in den Pyrenäen, jenem malerischen Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien, wo es traditionell von baskischen Hirten getragen wurde. In Paris eroberte das Barett dann wenig später die Herzen der Bohème-Szene. Maler, Schriftsteller und Musiker sah man häufig mit einem Barett, das lässig auf dem Kopf saß. Es wurde zum Symbol des freien Geistes und der kreativen Revolution.
Aber das Barett ist nicht nur etwas für die Kunstszene. Es hat auch einen festen Platz im Militär gefunden. Soldaten auf der ganzen Welt, unter anderem auch die Bundeswehr und die Schweizer Garde, tragen Barette in verschiedenen Farben und Stilen als Teil ihrer Uniformen.
Auch in der Popkultur hat es seinen Platz gefunden und wird von Stars wie Beyoncé, Rihanna und Harry Styles in ihren Musikvideos getragen.
Ein weiteres Beispiel ist der Film „La La Land“, in dem Emma Stone in einer Szene ein klassisches rotes Barett trägt, das perfekt zum romantischen Flair des Films passt. Oder auch die Netflix-Serie „Emily in Paris“. Dort trägt die Hauptfigur, Emily Cooper, gespielt von Lily Collins, in mehreren Episoden stilvolle Barette, die ihren Pariser Chic unterstreichen.
Egal ob auf dem Kopf eines Künstlers, eines Soldaten oder eines Filmstars – das Barett hat einen universellen Charme, dem man sich kaum entziehen kann. Es ist mehr als nur eine Mütze; es ist ein Statement, ein Stück Geschichte und ein Symbol für Stil und Individualität.
Das Barett in "Not the Hero" - Die Weisen Tardors
Das Königsland Tardor liegt im Westen der Insel Skirtingai und ist das Reich des Herbstes. Es ist bekannt für seine Ahornwälder und seine tiefen Schluchten, in welchen sich die Dörfer und Städte der Menschen befinden. Einzig die Hafenstadt befindet sich oberhalb des Meeresspiegels.
Regiert wird das Reich von den Weisen, eine Gruppe älterer männlicher Menschen. Dafür gibt es keine Fürsten oder Lords, nur noch das Volk selbst. Die Weisen teilen sämtliche Angelegenheiten unter sich auf und kümmern sich um die Verwaltung der einzelnen Ortschaften. Für wichtige außenpolitische Themen wird einer von ihnen als Vertreter gewählt, um als Stimme des Volkes zu dienen. Dabei machen sie keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen alles nicht menschliche.
Dämonen sieht man in diesem Teil der Insel nur selten, da sie schlicht nicht willkommen sind. Sollte es doch einer wagen, ist die Chance groß, dass er es nicht lebend aus der Schlucht schafft oder versklavt wird.
Doch zurück zum Barett. Denn neben einer rotbraunen Robe gehört das Barett zu den Erkennungsmerkmalen der Weisen. Es wiegt für die Menschen aus Tardor ähnlich schwer, wie für Könige und Königinnen die Krone. Es ist also nicht nur ein schicker Sonnenschutz, sondern vor allem ein Statussymbol. Entsprechend ist es aus schwarzem Samt gefertigt und mit Goldelementen besetzt.
Kapitel 6 - Kontroversen und Klischeefallen – wenn Mode zum Stolperstein wird
So unverzichtbar Kleidung für das World Building ist, so schnell gerät sie auf den Prüfstand der Leserschaft. Gerade weil es ein wichtiges Detail ist, entfacht das ganze auch gerne mal hitzige Diskussionen in Foren oder Social-Media‐Kommentarspalten. Berüchtigtes Beispiel Nummer eins: der Chainmail-Bikini. Seit den Sword-and-Sorcery‐Covern der 1980er geistert die metallische Minimalrüstung durch die Popkultur – ästhetisch provozierend, praktisch grotesk. Leser*innen und Spieler*innen bemängeln seit Jahren, dass halbnackte Heldinnen zwar dekorativ, aber in jedem realistischen Gefecht chancenlos wären. Moderne Autor*innen reagieren, indem sie Rüstungen anatomisch stimmig beschreiben oder zumindest erklären, warum Magie oder besondere Materialien die fehlende Schutzfläche kompensieren.

Ein zweiter Dauerbrenner ist die Eurozentrik. Jahrzehntelang dominierten Tuniken, Wämser und Ringpanzer aus einem vage nordwesteuropäischen Mittelalter das Genre. Kritiker verweisen darauf, dass die Weltgeschichte ein breites Modepanorama bietet: gefärbte kente-Tücher, samtene hanfu-Gewänder, kunstvoll gewickelte sari. Wenn eine Fantasywelt aus dutzenden Kulturen besteht, aber alle Bewohner in braunen Wollmänteln herumlaufen, schrumpft ihr Glaubwürdigkeitsradius.Einige Autor*innen nutzen daher bewusst süd-, ost- oder westafrikanische, indische und karibische Vorbilder, um frische Silhouetten und Farbpaletten einzubringen.
Daneben lauert das Problem der Funktion vs. Style. Leser*innen sind heute informierter: YouTube-Kanäle über historisches Fechten oder Living-History-Events zeigen, wie echte Gambesons (eine gepolsterte Jacke oder Weste, die im Mittelalter als Rüstung getragen wurde) aussehen, wie viel Stahl ein Schulterblatt tragen kann und warum sich Lamellenpanzer anders bewegt als Kettengeflecht. Sobald ein Roman eine fünf Kilo schwere Brustplatte als „leicht wie Leder“ beschreibt, klingeln die Alarmglocken. Authentizität muss nicht pedantisch sein, aber sie darf Physik nicht völlig ausblenden – wobei High Fantasy das Kunststück vollbringt, „regelkonforme Magie“ als Erklärung zu integrieren. Aber auch das muss einer gewissen Logik folgen.
Auch geschlechtsspezifische Erwartungen geraten in die Kritik. Lange Zeit trugen Frauenfiguren figurbetonte Kostüme mit tiefen Schnürungen, während männliche Abenteurer in Sack-Tunika und Schmutzkragen kämpfen durften. Neuere Fantasy stellt die Gleichung auf den Kopf: männliche Prinzen in opulenten Seidenroben, nichtbinäre Personen in genderfluiden Gewändern oder kriegerische Heldinnen in vollwertiger Plattenrüstung. Mode dient hier als subtiles Statement über gesellschaftliche Normen der fiktiven Welt.
Schließlich taucht immer häufiger das Thema kulturelle Aneignung auf. Wenn ein Autor aus einer Mehrheitskultur ein realhistorisches Kleidungsstück einer Minderheitenkultur übernimmt, ohne Bedeutung und Kontext zu respektieren, können sich Leser*innen ausgeschlossen oder exotisiert fühlen. Die Lösung liegt nicht im Verzicht, sondern in gründlicher Recherche, Sensitivity-Reading und – wo nötig – einer Welterklärung, die zeigt, wie dieses Kleidungsstück glaubhaft in die fiktive Historie eingewebt wurde.
All diese Stolpersteine verdeutlichen, dass Fantasy-Mode längst mehr ist als dekorativer Beisatz. Sie ist politisch, kulturell aufgeladen und unter genauer Beobachtung eines Publikums, das Realismus und Repräsentation schätzt. Wer Stoffe, Schnitte und Farben bewusst wählt, kann Klischees unterlaufen, kluge Kommentare abgeben – und das Abenteuer gleichzeitig optisch kraftvoller machen. Wer alte Muster unreflektiert recycelt, riskiert dagegen, dass die spannendste Story vom falschen Brustpanzer überschattet wird.
Kapitel 7 - Moderne Strömungen – der Regenbogen im Kleiderschrank
Seit etwa einem Jahrzehnt erlebt die Fantasy-Garderobe eine Renaissance, die sich nicht mit neuem Lederfarbton begnügt, sondern radikal an der Stoffrolle ansetzt. Autor*innen verschieben ihre Modepalette mit zwei großen Hebeln: kulturelle Diversifizierung und funktionaler Realismus. Erstens wagen immer mehr Romane den Blick über die lange dominierende eurozentrische Hecke. In Tasha Suris „The Jasmine Throne“ strömen Figuren in glühend orangefarbenen sarees durch Palastgänge, die an das Dekkanreich erinnern; Schildträger tragen leinengefütterte kutchi-Westen, deren Stickerei nicht nur schmückt, sondern das Familienwappen verschlüsselt. Evan Winter baut in „The Burning“ Rüstungen aus schichtweise gehärtetem nguni-leder, das im Wüstensand weder überhitzt noch klirrt – eine Anleihe an afrikanische Impi-Traditionen. Der Effekt ist zweifach: Leserinnen betreten Welten, die sich in Farbcode, Silhouette und Material sofort neu anfühlen, und kulturelle Vielfalt wird nicht als exotische Zutat, sondern als architektonisches Grundgerüst erlebbar.
Zweitens boomt die Welle der historisch informierten, aber alltagstauglichen Rüstung. Kostümdesignerinnen wie Michele Clapton (»Game of Thrones«) haben vorgemacht, wie sich echte Schnitttechnik mit Fantasie kombinieren lässt: Rundgarnstickereien im Mantel von Sansa Stark tragen den Hauswappen-Wolf, sind aber so dicht vernäht, dass sie wie versteckter Lederpanzer wirken. Diese „funktionale Ornamentik“ sickert in die Literatur zurück. Autor*innen beschreiben nicht mehr nur das Aussehen, sondern erklären, wie ein Brigantine durch vernietete Lederplanken ballistische Wirkung erzielt oder wie eine Blendenhelmhaube die periphere Sicht einschränkt – ein kleiner Satz, der die Kampfchoreografie glaubwürdiger macht. Damit endet auch der Chainmail-Bikini-Albtraum: Heldinnen treten in voll ausgeformten Brustpanzern auf, die weder Rücken noch Organe freilegen, während männliche Paladine nicht selten mit filigraner Goldstickerei im Kragenkranz posen müssen; Rollenzuweisungen werden visuell umgedreht.
Die dritte Strömung ist genderfluides oder queeres Kostümdesign. Autor*innen spielen bewusst mit Kleidungsstücken, die Geschlechtergrenzen verflüssigen: weite Gewandjacken, die sowohl Robe als auch Mantel sein können, oder Rüstungen, deren einzelnen Platten austauschbar sind, sodass sie sich an jede Körperform anpassen lassen. Kleidung wird zum aktiven Kommentar über Identität, ein Statement von „so bin ich heute“ statt eines endgültigen Etiketts. Leser*innen, die sich nach Spiegeln jenseits zweigeschlechtlicher Norm sehnen, finden hier stumme Allianz.
Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Eco-Fantasy-Trend. Rinde wird zu flexiblen Panzerfasern, Pilzleder ersetzt Rind, und Farbstoffe stammen aus Harzen, die nur in nachhaltig bewirtschafteten Spiritgroves gedeihen. Solche Details färben nicht nur die Stoffe, sondern erzählen von Ökologie, Handel und Ethik einer Welt – eine narrative Ebene, die früher oft unsichtbar blieb.
Schließlich dringen Tech-Fantasien in die Nählinien: Nanogewebe, die sich im Kampf verhärten, oder magisch leitfähige Fäden, die Runen glimmen lassen, sobald die Trägerin zaubert. Autor*innen verbinden so Science-Fantasy mit Modedesign – ein Mantel wird zum mobilen Kraftfeld, aber nur, wenn er regelmäßig mit Sternenstaub imprägniert wird. Solche Einfälle schlagen die Brücke zwischen klassischem Kostümzauber und futuristischer Funktion.
Kapitel 8 - Wie treffe ich die richtige Kleiderwahl für meine Figuren?
Die erste Frage, die Autor*innen sich stellen sollten, lautet nicht „Was sieht cool aus?“, sondern „Was sagt dieses Kleidungsstück über Umwelt und Kultur meiner Figur aus?“ Beginnen wir beim Klima: Ein Roman, der in einer feuchten Dschungelregion spielt, kann sich keine mehrlagigen Wollkaftane leisten, ohne schleunigst die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Stattdessen passen leichte, atmungsaktive Stoffe – vielleicht ein lockerer Wickelrock aus Pflanzenbast oder fein gewebtem Ramie – und ein Poncho gegen Monsunregen. Setzt du dieselbe Heldin später in ein windgepeitschtes Hochland, trägt sie logischerweise dick gewalkte Schafwolle oder gefettetes Leder, weil nasse Baumwolle dort tödlich wäre. Allein dieser Stoffwechsel verrät dem Leser zwischen den Zeilen, dass Temperatur, Feuchtigkeit und Jahreszeit in deiner Welt real sind.
Als Nächstes kommt die Ökonomie: Wer produziert den Stoff und wer kann ihn bezahlen? Purpurfarbene Seide ist nur dann Realität, wenn die Welt über Handelswege, Farbstoffkulturen und eine wirtschaftliche Oberschicht verfügt, die sich solche Kostbarkeiten leistet. Ein Fischer, der plötzlich im violetten Brokathemd erscheint, wirft Fragen auf – sofern nicht ein Schwarzhändler, ein Raubzug oder eine heimliche Protektion dahintersteckt. Genau diese Diskrepanz ist ein geschickter Erzählhaken: Kleidung kann Ungleichheit sichtbar machen oder verborgene Netzwerke andeuten, lange bevor Dialoge Namen nennen.
Ein dritter Aspekt ist Symbolik. Viele fiktive Reiche verfügen über Orden, Zünfte oder Kasten, die sich anhand von Farben oder Schnitten unterscheiden. Überlege dir, ob deine Ritterorden gestickte Wappen auf der Brust führen, ob Priesterinnen nur in ritueller Fadenrichtung nähen dürfen oder ob ein verbotener Zauber Zirkelmuster im Stoff zum Leuchten bringt. Solche Details verwandeln das Gewand in ein sprechendes Wappen – Leser*innen erkennen sofort Zugehörigkeit oder Gefahr, ohne dass du einen Passierschein diskutieren musst.
Bewegung ist das nächste Kriterium. Helden, die über Dächer sprinten, brauchen Gürteltaschen statt Bodenlangen Gewändern; Hofintrigen kommen besser zur Geltung, wenn Reifröcke Türen blockieren oder schwere Schleppen das heimliche Davonschleichen erschweren. Nutze Kleidung also als dramaturgischen Verstärker: Ein eng geschnürtes Korsett kann Atemnot während einer Flucht auslösen, eine klimpernde Eisenverzierung kann im Spionageplot verräterisch laut werden.
Schließlich entscheidet die Garderobe darüber, ob du Erwartungen erfüllst oder brichst. Ein barbarisches Volk, das in überraschend feiner Seidenkleidung erscheint, fordert das Publikum auf, Vorurteile zu überdenken; ein Stadtmagier, der abgewetztes Alltagszeug trägt, macht neugierig, wie er Prestigewissen mit Armut vereint. Frag dich, an welchen Stellen du Genreklischees nutzen willst, um schnellen Wiedererkennungseffekt zu erzielen, und wo du bewusst gegen den Strich bürstest, um Interesse zu wecken.
Fazit – Mehr als Mode
Fantasy-Kleidung ist nie nur Schmuck. Sie kodiert Charakterzüge, legt Weltlogik offen und spielt mit Lesererwartungen. Wer bewusst wählt, ob sein Magier Ebony-Gewänder oder ölverschmierte Jutekittel trägt, schreibt automatisch eine Schicht Tiefe und Glaubwürdigkeit in die Story. Und genau dort beginnt das eigentliche Abenteuer: nicht im Schwert, sondern im Stoff, der es verdeckt.
Und damit verabschiede ich mich für dieses Mal. Lass gerne ein paar liebe Worte in den Kommentaren und sei auch beim nächsten, viel zu langen Text wieder dabei ;)
Dein Jerry
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