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[☆030] Die Schwester der Königin - Kurzgeschichte

Hallo lieber Lesestern,


du hast "Not the Hero" gelesen und willst mehr? Mehr von der Welt, von den Charakteren und mehr zu ihren Hintergründen? Dann habe ich hier eine kleine Kurzgeschichte zur Königin der Schmetterlingselfen. Sie ist übrigens eine meiner Lieblingscharaktere und vielleicht schreibe ich irgendwann mehr zu ihrer Vergangenheit.


Schreib mir doch gerne unten in die Kommentare, wie dir die Geschichte gefällt! Ich würde mich sehr darüber freuen.


Dein Jerry


Weihnachtsbaum


Die Schwester der Königin

Eintausend Jahre vor den Ereignissen in ‘Not the Hero’


Blumen blühen und recken ihre farbenfrohen Knospen der Sonne entgegen. Lautlos lassen sich Schmetterlinge vom zarten Frühlingswind, von Blüte zu Blüte tragen. Meeresrauschen erfüllt die Luft und die Wellen brechen über den Strand herein, als würden sie ihn emporklettern wollen.

Eine Frau mit langen blonden Haaren geht barfuß über den Sand. Ihre Schritte dabei so leicht, dass sie zu schweben scheint und nicht die kleinste Spur hinterlässt. Sanft liebkost der Wind ihre Haare und die Blätter dazwischen fangen an zu rascheln.

Ihre violetten Augen richten sich auf eine Frau, die ihr nicht unähnlich sieht. Sie steht bis zur Hüfte im Wasser und blickt zum weit entfernten Horizont. Der einzige Unterschied zwischen den beiden sind die Haare. Denn die der Anderen haben den Farbton von Mondlicht.

„Du träumst, kleine Schwester“, bemerkt die Schmetterlingskönigin. Auch sie tritt ins Wasser und lässt sich von den warmen Wellen umschmeicheln. Sie spürt, wie sich ihr weißes Kleid damit vollsaugt und schwer auf ihrer Haut aufliegt. Es wird zu einer schützenden Hülle. Der Sand unter ihren Füßen fühlt sich an wie Samt und sie versinkt leicht darin.

Bei der Jüngeren angekommen, legt sie ihr eine Hand auf die Schulter. Schweigend folgt sie dem Blick in die endlose Ferne.

„Alles in mir schreit danach zu fliegen“, flüstert die silberhaarige Frau. „Ich bin ein Vogel ohne Flügel, ein fallendes Blatt ohne Wind.“ Sie wendet sich um und die Blicke aus den violetten Augen der Schwestern treffen aufeinander. „Ich verdurste, während ich im Meer ertrinke. Ich verhungere, obwohl mein Teller nie leer ist. Mich am Leben zu festzuhalten reicht nicht aus, um das Bedürfnis zu stillen, welches mich in die Ferne zieht. Stattdessen macht sich Platzangst in mir breit, obwohl ich mich frei bewegen kann.“

Sie reibt sich mit den Händen über ihre Oberarme und zittert. Die Königin sieht ihr schweigend zu, lauscht nur den Worten. Die Sehnsucht ihrer Schwester ist ihr nicht unbekannt. Schon von klein auf war sie von dem ständigen Drang getrieben, das Schloss aus Meerschaum zu verlassen. Ihr war das Reich des Frühlings nie groß genug.

Doch mittlerweile ist es mehr als das. Mehr als nur ein Sehnen.

Die Königin der Schmetterlingselfen kann es ganz deutlich erkennen. Wie die Wurzeln und Blätter ihrer Schwester welk wer- den. Ihre Farbe verblasst zusehends, und sie wird mit jedem Tag der vergeht lethargischer. Sie verliert sich in ihren Träumen und klammert sich daran wie eine Sterbende. Und die blonde Frau weiß, dass es mitunter ihre Schuld ist.

„Einst waren wir zu fünft in diesem großen Schloss. Erinnerst du dich?“, fragt sie leise und spürt, wie ein tröstender Windhauch über ihre Wange streift. „Mutter und Vater, unser Bruder, du und ich. Es ist so lange her, dass ich mich kaum noch an ihre Gesichter erinnern kann und doch spüre ich ihre Liebe in mir.“

Die Silberhaarige wispert: „Ich erinnere mich auch kaum mehr an sie. Sie verblassen immer weiter.“

„Ich wollte nicht, dass du gehst. Denn dann würde ich alleine zurückbleiben, und irgendwann würden auch die Erinnerungen an dich vergehen.“ Die blonde Frau hebt ihre Hand und legt sie sacht auf die Wange ihrer Schwester. „Aber ich kann dich nicht länger festhalten.“

Hauchzart streicht sie die Tränen weg, die ihren Weg aus den violetten Seelenspiegeln der Silberhaarigen finden. Sie erzittert unter der Berührung.

„Ich kann dich nicht zurücklassen“, schluchzt sie.

Die Königin hingegen beginnt zu lächeln und entgegnet: „Dann versprich, dass du eines Tages zurückkehren wirst. Mir von deinen Reisen und Abenteuern erzählst. Das Schloss wird immer dein Zuhause sein.“ Sie umarmt ihre Schwester. „Und wenn du mal eine Pause brauchst, kannst du herkommen und dich ausruhen. Hier bei mir wirst du immer willkommen sein.“

Lange stehen sie eng umschlungen im Wasser, bis sie nach vielen Stunden, Hand in Hand, zurück zum Schloss schlendern. Sie gehen gemeinsam in die Schlafgemächer der silberhaarigen Schmetterlingselfe und packen ihre Sachen für eine lange Reise ein. Dabei entgeht der Königin nicht, wie die Farben in das Leben ihrer Schwester zurückkehren. Ein Glanz tritt in ihre Augen, den sie bereits vor langer Zeit verloren hatte.

Anschließend treten sie auf das Dach des höchsten Turms. Die Sonne versinkt auf der anderen Seite der Insel, und der Mond taucht am Rande des östlichen Reiches aus dem Meer. Für eine viel zu kurze Sekunde vermischen sich das goldene Licht des Tages und die silbernen Strahlen der Nacht miteinander. Ein violetter Schein wird daraus geboren, ehe der Moment auch schon wieder vorbei ist.

Ein einzigartiger Augenblick, den die Schwestern still schweigend teilen. Sie sehen noch dabei zu, wie der Mond aufgeht und schließlich hoch über ihnen thront. Wie Lichter in den Wäldern des Ostens anfangen zu glühen. Sie greifen nach dem silbernen Schein, um ihn danach an noch düstere Orte zu bringen.

Ein letztes Mal fragt die Jüngere: „Bist du dir sicher?“

Und obwohl die Schmetterlingskönigin sie am liebsten bei sich behalten würde und sie beschützen möchte, vor all den Gefahren in der Welt, vor dem Schmerz, dem Leid, vor all dem Schlechten, das ihr widerfahren könnte, tut sie es nicht.

Alles, was ich möchte, ist, dass du glücklich bist. Auch wenn das bedeutet, auf mein eigenes Glück zu verzichten, denkt sie. Doch sie wagt es nicht, diese Worte auszusprechen. Es würde ihrer Schwester nur ein schlechtes Gewissen machen. Also antwortet sie: „Geh und pass auf dich auf.“

Sie umarmen sich erneut und es fällt beiden so unfassbar schwer loszulassen. Dann dreht sich die silberhaarige Frau um und läuft auf den Rand des Daches zu. Kurz bevor sie abspringt, zieht sie ihre Schultern ruckartig nach vorne, und zwei große Flügel erscheinen auf ihrem Rücken. Ein Schwalbenschwanz-Flügel und ein Kolibriflügel, genau wie bei der Königin, nur spiegelverkehrt.

Der Frühlingswind gibt ihr Auftrieb und bringt sie immer höher. Sie wagt es dabei nicht zurückzublicken. Denn dann würde sie bleiben.

Ein kleines Wesen holt sie nach nur wenigen Flügelschlägen ein. Der Kolibri der Königin fliegt um sie herum und trällert eine aufgeregte Melodie.

„Sie will, dass du mich begleitest? Damit ich mich unterwegs nicht alleine fühle …“

Ein dicker Kloß bildet sich in ihrem Hals. Obwohl sie unendlich glücklich darüber ist, dass sie nun endlich ihrem goldenen Käfig entfliehen durfte, ihr sogar der Schlüssel dafür gereicht wurde, schmerzt es sie, ihre geliebte Schwester zurückzulassen.

Schließlich sind sie eins. Ein Schmetterling und ein Kolibri. Zwillinge, die nur gemeinsam ein Ganzes ergeben. Und doch, so sehr sie sich im Äußeren auch gleichen mögen, so unterscheiden sie sich im Inneren.

Denn während sich die Königin im Schloss und mit ihrer Aufgabe, über ein Reich zu regieren, wohl fühlt, hat sie selbst nur die Ferne gesehen. Was auch immer sie zum Horizont treibt, sie ist sich sicher, dass irgendwo dort, ihre Bestimmung wartet.

„Ich kehre zurück, ganz bestimmt“, flüstert sie, und der Wind trägt das Flüstern in das Ohr seiner Königin.

Noch immer steht diese auf dem Dach und sieht der Silberhaarigen nach. Tränen schimmern in ihren Augen, und Kälte um- klammert ihr Herz.

„Ah, ich glaube nun, erinnere ich mich wieder.“

Sie schließt ihre Augen und sieht sich selbst vor vielen Jahrhunderten, umgeben von ihrer Familie. Zusammen waren sie so glücklich. Doch die Klauen des Schicksals waren unermüdlich da- bei, ihr jeden zu nehmen den sie liebt.

Ihre Eltern starben in einem der unzähligen Kämpfe auf der Insel Skirtingai, die zwischen den Menschen und Dämonen ausgefochten wurden. Und ihr kleiner Bruder verließ das Schloss einst für die Liebe. Er starb vor wenigen Jahren, um seine Liebsten vor einem Monster zu beschützen. Eulampis, Doryfera und Metallura, ihre Nichten, leben zwar seit damals im Reich der Schmetterlingskönigin, wissen jedoch nicht um die Verwandtschaft zu ihr.

Und nun geht auch ihre Schwester fort.

Eine einsame Träne fließt ihre Wange hinab, auf welcher das Tattoo der Flammenblume, der Phlox zu erkennen ist. Es ist die Geburtsblume der Schwestern und das Zeichen ihrer Liebe und Zusammengehörigkeit.

Sie wischt sich die verräterischen Spuren aus dem Gesicht, strafft ihre Haltung und ihren Blick. Die Schwestern werden einander wiedersehen, dessen ist sich die Königin sicher. Denn sie würde zur Not die gesamte Welt nach ihr absuchen. Für sie ist sie bereit, alles aufzugeben und jeden noch so schweren Kampf zu schlagen.

Doch bis dahin wird der eifrige Kolibri auf sie aufpassen und der Wind von ihren Reisen flüstern. Sie selbst wird dafür sorgen, dass ihre Schwester für alle Zeit einen Ort hat, an dem sie zur Ruhe kommen kann. Spätestens dann, wenn sie ihre Sehnsucht endlich stillen konnte.

„Wir werden uns eines Tages wieder unter den Blättern des Frühlings treffen. Möge die Phlox ewig für dich brennen, geliebte Schwester.“

 
 
 

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