[❦017] Der Prolog - Anfang einer neuen Welt
- Jeremy
- 29. Juni
- 11 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Hallo Leseheld,
setz dich für einen Augenblick in einen gemütlichen Sessel – der feste, leicht knarzende Lieblingsplatz, von dem aus du in fremde Welten abhebst. Jetzt stell dir vor, du schlägst ein brandneues Fantasy-Buch auf. Noch bevor Kapitel 1 überhaupt starten kann, stolperst du über ein einzelnes, beinahe ehrfürchtig abgesetztes Wort: Prolog.
Manche Leser*innen reiben sich begeistert die Hände: „Ah, ich liebe es, wenn mir die Geschichte einen Appetithappen hinwirft!“ Andere hebt es sofort aus dem Lesefluss: „Oje, bestimmt zehn Seiten Weltgeschichte, die ich später sowieso noch einmal erfahre.“ Und irgendwo dazwischen sitzen Autor*innen, die sich fragen, ob dieser Vorraum zur eigentlichen Handlung nun dramaturgisches Gold oder unhandlicher Ballast ist.
In diesem Artikel schnappen wir uns das Phänomen Prolog, drehen es einmal unter der Lupe, klopfen es auf historische Wurzeln, Nutzen, Risiken – und erklären, wie man den Einstieg in eine brandneue Welt so gestaltet, dass Leser*innen lieber staunen als vorblättern.

Kapitel 1 - Was ist ein Prolog eigentlich?
Ein Prolog ist weit mehr als ein dekoratives Vorspiel: Er ist eine eigenständige, in sich geschlossene Szene, die dem Lesenden – noch bevor die eigentliche Kapitelzählung beginnt – den ersten Schlüssel zur neuen Welt in die Hand drückt. Der Begriff selbst stammt vom griechischen prologos, „das Vor-Gesagte“. In der klassischen Tragödie trat zu Beginn oft eine einzelne Figur oder gleich der Chor vor das Publikum, erklärte in wenigen Worten Vorgeschichte, Schauplatz und moralische Fallhöhe und verschwand dann wieder hinter den Kulissen. Also eine Art dramaturgisches Wegweiser-Schild, damit keiner im antiken Amphitheater die Orientierung verlor.
Heute begegnen wir dem Prolog vor allem in Genres mit starkem Weltenbau – Fantasy, Science Fiction, Thriller – weil er einen Trick ermöglicht, den ein reguläres erstes Kapitel nur schwer leisten könnte: Er darf Zeit und Perspektive brechen. Ein Prolog kann fünfhundert Jahre vor der Haupthandlung spielen, aus Sicht des Antagonisten oder einer Nebenfigur, die später gar nicht mehr auftaucht. Er liefert gerade genug Kontext, um den Leser nicht im Nebel stehenzulassen, ohne den Erzählfluss in den folgenden Kapiteln mit langen Rückblenden auszubremsen. Selbst moderne Pop-Franchises nutzen ihn; die gelben „Star Wars“-Crawl-Texte sind in Wahrheit filmische Prologe – kurze, gerichtete Informationsschübe, die den Sprung in eine bereits laufende Schlacht ermöglichen, ohne dass Figuren erst stundenlang erklären müssen, wer gegen wen kämpft.
Kurz gesagt: Ein Prolog ist die literarische Schleuse zwischen realer Welt und Fiktion. Er begrüßt den Lesenden, steckt die Koordinaten ab und verschwindet, sobald das Tor zur eigentlichen Reise geöffnet ist – idealerweise so elegant, dass man erst viele Kapitel später merkt, wie viel dieses Vorspiel tatsächlich vorbereitet hat.
Kapitel 2 - Woher kommt der Brauch?
Die Wurzeln liegen im antiken Dionysos-Theater. Dort begann fast jede Tragödie mit dem prologos, einem kurzen Vorspiel, in dem ein Schauspieler – häufig als Gott oder Bote verkleidet – auftrat, die Vorgeschichte schilderte und den moralischen Rahmen absteckte. Da ein Publikum aus Athen nicht erst drei Akte abwarten wollte, um zu wissen, warum gerade Troja brennt oder welche Blutfehde auf der Bühne eskaliert, war dieser erklärende Auftakt pure Serviceleistung und dramaturgisches Pflichtprogramm gleichermaßen.
Mit der Ausbreitung römischer und später mittelalterlicher Theaterformen verschwand der Prologos als festes Ritual, doch das Grundprinzip überlebte in der Vorsänger- oder Chorfunktion – eine kollektive Stimme, die das Publikum direkt adressierte. Shakespeare griff diese Tradition bewusst auf: Seine Chöre in »Romeo and Juliet« oder »Henry V.« erklären vorab Setting, Konflikte und sogar das unausweichliche Ende, um den Fokus nicht auf »was passiert?«, sondern auf »warum passiert es?« zu lenken.
Als der Roman im 18. Jahrhundert zum Leitmedium wurde, wandelte sich der Prolog weiter. Er verlor die Funktion, laut ins Publikum zu sprechen, und wurde zum inneren Kameraschwenk: Autor*innen stellten einen ominösen Fremden auf einer Klippe vor die stürmische See oder ließen den Schurken ein geheimes Bündnis schließen – Szenen, die der spätere Hauptcharakter gar nicht miterlebt, die aber Spannung aufbauen. In der viktorianischen Sensationsliteratur waren Prologe fast Pflicht, weil sie dem Leser einen Hauch von Voyeurismus boten: Man erfuhr etwas, das die Held*innen lange nicht wissen durften.
Mit dem Aufkommen der Genreliteratur – vor allem Fantasy, Science-Fiction und Thriller – gewann der Prolog erneut an Bedeutung. Komplexe Welten, Zeitsprünge und mehrstimmige Erzählungen brauchten einen Minimalraum, um ihre Prämisse zu entfalten, ohne das erste Kapitel zum Infofriedhof zu machen. J. R. R. Tolkien verzichtete zwar auf einen Prolog im engeren Sinne, nutzte aber ausführliche Vorworte; viele seiner Erben gingen einen Schritt weiter und setzten atmosphärische Mini-Episoden an den Start. So zeigt George R. R. Martin in »A Game of Thrones« schon vor Seite eins den Schrecken jenseits der Mauer, während Robin Hobb einen Jungen in eine giftige Prophezeiung stolpern lässt, lange bevor er seinen eigenen Namen erfährt.
Der digitale Wandel ab 2010 verstärkte den Trend noch. Online-Buchhändler gewähren oft nur eine kurze Leseprobe – wer dort mit einem packenden Prolog aufwartet, besitzt einen messbaren Vorteil: Laut mehreren Self-Publishing-Umfragen steigen die Download-Conversion-Rates, wenn die kostenlose Vorschau eine eigenständige, spannungsreiche Szene enthält, statt mit gemächlicher Exposition zu beginnen. Kurzum: Vom griechischen Erzähler zum modernen Click-Hook – der Prolog hat sich immer wieder neu erfunden, aber seine Kernfunktion ist gleich geblieben: Er schafft Orientierung, facht Neugier an und öffnet die Tür, bevor die eigentliche Reise beginnt.
Kapitel 3 - Warum nicht einfach mit Kapitel 1 beginnen?
Kapitel 1 ist das Versprechen, die Reise tatsächlich zu starten – doch es unterliegt gewissen Zwängen: Es muss die Hauptfigur vorstellen, ihren Alltag skizzieren, den Tonfall festlegen und zugleich ein erstes Ziel in Reichweite rücken. Ein Prolog darf all das ignorieren und stattdessen zeigen, was in einem normalen Einstieg nur stören würde. Dadurch entsteht ein Vorgriff, der Spannung erzeugt, ohne den dramatischen Bogen der Hauptfigur zu brechen.
Besonders nützlich ist dieser Kniff bei Stoffen mit großem Weltenbau: Die Leser*innen erhalten einen atmosphärischen Schnelltest, ob sie eine Welt voller Giftmondnächte, Dornenmagie oder interstellarer Piraten überhaupt betreten wollen. Und weil der Prolog häufig eine Nebenfigur, manchmal sogar den Antagonisten in den Mittelpunkt rückt, entsteht schon vor dem eigentlichen Beginn ein Echo, das während der gesamten Handlung nachhallt. Im Thriller zeigt ein Prolog gern das erste Opfer oder den Täter; in der Fantasy hört man vielleicht den letzten Atemzug des uralten Drachen, dessen verlorenes Artefakt später den Plot antreibt.
Hinzu kommt die Wirkung als dramaturgischer „Propeller“: Statt das erste Kapitel mit Rückblenden oder langen Dialogen zu belasten, können Autor*innen Informationen abwerfen, die das Publikum wissen darf, die Hauptfigur aber erst allmählich entdeckt. Das Publikum wird so zum Komplizen: Es kennt das Geheimnis im Keller, spürt die Gefahr eher als die Heldin und verfolgt jede falsche Abzweigung mit wachsender Spannung. Diese Diskrepanz erzeugt einen Lesesog, den ein konventionelles Kapitel 1 oftmals erst mühsam aufbauen müsste.
Kapitel 4 - Kontroversen: Warum springen manche Leser*innen den Prolog?
Kaum ein Baustein spaltet die Schreibszene so zuverlässig wie der Prolog. Auf der einen Seite schwören Autor*innen, er sei ihr bestes Werkzeug für Atmosphäre und Vorspann. Auf der anderen Seite verziehen Betaleser, Blogger und gelegentlich auch Lektor*innen das Gesicht, weil sie schon zu viele schlechte Beispiele in der Hand hatten. Das zentrale Problem: Ein Prolog wird überproportional oft als „Parkplatz“ für alles missbraucht, was Autor*innen unbedingt loswerden wollen, sich aber nicht trauen in den eigentlichen Handlungsfluss einzubauen.
4.1 Infodumping – der Erzfeind aller Eröffnungen
Der übliche Fehltritt beginnt so: Der Prolog greift sich die Geschichtsrollo des gesamten Reiches, spult Stammbäume, Götterpantheons und Handelsbilanzen herunter – gerne in chronologischer Reihenfolge, manchmal im Tonfall eines Lehrbuchs. Leser*innen fühlen sich wie in einer Vorlesung, bevor sie überhaupt einen Grund haben, sich zu interessieren. Daraus entsteht der Eindruck, der Prolog diene bloß dazu, Textpassagen unterzubringen, die der Autor später nicht mehr erklären kann oder will. Im schlimmsten Fall merken Leser*innen, dass sie das meiste davon nie brauchen und stempeln das ganze Buch als „überladen“ ab.
4.2 Das Überspring-Phänomen
Umfragen unter Vielleser*innen zeigen, dass ein signifikanter Anteil Prologe bewusst auslässt – manche, weil sie schlechte Erfahrungen mit Infodumps gemacht haben, andere, weil sie „die eigentliche Geschichte“ schneller erreichen wollen, oder Prologe schlicht unnütz finden.
4.3 Agenten- und Lektorensicht
Viele Literaturagent*innen berichten, dass schwache Prologe ganz oben auf ihrer „Abbruch-Liste“ stehen. Wer im täglichen Stapel hunderte Einsendungen sichtet, entwickelt eine starke Allergie gegen Expositionsballast. Ist die erste Szene nicht erzählerisch zwingend, sondern klingt nach Nachschlagewerk, landet das Manuskript schneller im Nein-Stapel, als man „Prolog“ tippen kann. Daraus entstand der Mythos „Agenten hassen Prologe“. In Wahrheit hassen sie nur die schlechten. Gute Prologe dagegen steigen wie ein Heißluftballon aus dem Zweifelsstapel heraus.
4.4 Folgen fürs Self-Publishing
Auch Selfpublisher*innen spüren die Skepsis. Online-Händler zeigen meist genau die ersten 10 % eines E-Books als kostenlose Leseprobe. Ist dieser Ausschnitt mit Infodump verstopft, klicken potenzielle Käufer weit schneller weiter, als der Download-Button gedrückt ist. Zahlen aus mehreren Conversion-Studien belegen: Titel, deren Vorschaubereich eine eigenständige, spannungsgeladene Szene enthält, verzeichnen bis zu 40 % mehr Käufe als solche mit trockenem Prolog oder ohne erkennbare Hook. Der Algorithmus registriert jede abgebrochene Vorschau als negatives Signal – und senkt die Sichtbarkeit.
4.5 Der Gegenpol – Wenn der Prolog glänzt
Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Thrillern wie Thomas Harris’ Red Dragon liefert der Prolog den ersten tödlichen Überfall – ein Albtraumhäppchen, das die Spannung sofort hochschraubt. In der Fantasy hat George R. R. Martin bewiesen, wie wirksam ein Prolog sein kann, wenn er den Leser in einen Horrorvorfall jenseits der Mauer wirft und damit die Grundangst der ganzen Saga pflanzt. Gemeinsamer Nenner: Beides sind echte Szenen mit Handlung, Konflikt und emotionaler Pointe statt reiner Geschichtstafel.
4.6 Fazit der Kontroverse
Ein Prolog ist ein Hochseilakt. Setzt er auf Handlung, Stimmung und gezielte Andeutung, wird er zum Turbostarter. Rutscht er in die Infodump-Grube, wird er entweder überblättert oder killt den Manuskript-Pitch. Die Lektion lautet also: Kein Prolog als Ablage für Hintergrundwissen, sondern als narrativer Böller, der Funken in den Leserkopf schießt – sonst zündest du bestenfalls Nebelkerzen.
Kapitel 5 - Warum ist der Prolog trotzdem Gold wert?
Richtig eingesetzt …
fesselt er in Sekunden.
spart er Rückblenden.
setzt er den Ton.
liefert er Foreshadowing.
Ein pointierter Prolog liefert sofortige Spannung. Statt den Leser in den Alltag der Hauptfigur eintreten zu lassen – morgendlicher Kaffee, ein Bummel durchs Dorf – kann der Autor mit einer Szene beginnen, in der bereits etwas Grundlegendes auf dem Spiel steht. Ein mordendes Schattenwesen, eine Explosion in einer Raumstation oder ein uralter Schwur, der in Blut geschrieben wird: Solche Bilder packen wie eine Hand am Rever und signalisieren unmissverständlich, dass hier Großes passiert. Das hebt den Puls, noch bevor Name, Alter oder Lieblingsgetränk der späteren Heldin überhaupt erwähnt werden.
Außerdem ist der Prolog ein Foreshadowing-Generator. Er streut ein Rätsel – ein blutbeflecktes Medaillon, einen kryptischen Vers, das Echo eines Verrats – und verschwindet, bevor die Auflösung kommt. Jede spätere Szene schwingt dann unterschwellig mit dieser offenen Frage. Wenn das Rätsel endlich gelöst wird, erlebt der Leser einen Aha-Moment, der tiefer wirkt und länger anhält.
Der Prolog spart auch Erzählballast. Weltenbau-Details oder historische Schlüsselereignisse müssen nicht mühsam in spätere Dialoge hineingeschoben werden. Stattdessen kann ein kompakter Prolog eine Momentaufnahme liefern, die gerade genug Kontext gibt, ohne den Fluss eines spannenden Kapitels zu bremsen. Das entlastet den Rest des Romans; Figuren sprechen natürlicher, weil sie den Leser nicht heimlich unterrichten müssen.
Der Ton und die Genre-Erwartung können hier mit chirurgischer Präzision aufbereitet werden. Ein düster-lyrischer Abschnitt kündigt Dark Fantasy an; ein bissiger, voll ironischer Monolog legt humorvolle Urban-Fantasy nahe; ein sachlich kühler Tatortbericht sagt Thriller. Wer sein Publikum gleich am Eingang richtig einsortiert, verhindert Fehlkäufe – und gewinnt Fans, die genau nach dieser Stimmung suchen.
Vorhang auf für den Prolog!
Bevor es weiter geht damit, wie man den Infodump umgeht, findest du hier zwei Videos von mir. Denn ich war so frei und habe meine eigenen Einstiege in die Welt von "Not the Hero" und "The Shadow Within" für dich eingelesen. Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim reinhören und hoffe sie gefallen dir!
Schreib mir doch gerne hier oder auf Youtube, wie dir die Prologe gefallen.
Kapitel 6 - Wie vermeidet man den Info-Dump-Friedhof?
Der wichtigste Leitsatz lautet: Ein Prolog ist eine Szene, kein Lexikon. Sobald du merkst, dass du lieber aufzählen als erzählen möchtest, bist du schon einen Schritt zu weit auf der Müllkippe. Stelle dir deshalb zunächst die Frage, welchen konkreten Moment du zeigen kannst, statt ein geschichtliches Panorama herunterzubeten. Ein einzelner Magier, der den letzten Zauberspruch vor seinem Tod spricht, veranschaulicht den Untergang einer gesamten Ära stärker als fünf Absätze Chronik. Arbeite mit Sinneseindrücken, Konflikt und Emotion – alles, was in einem „normalen“ Kapitel funktioniert, gilt hier ebenso.
An zweiter Stelle steht Fokus. Wähle eine einzige Figur, Perspektive oder Situation, die den Kern des späteren Konflikts spiegelt. Brauchst du wirklich den gesamten Ahnenstamm? Oder reicht die Szene, in der die Königin ihr Kind in einem Schilfkorb aussetzt, um den Leser begreifen zu lassen, dass Thron und Blutlinie in Gefahr sind? Je präziser dein Ausschnitt, desto eher fühlt sich der Prolog wie eine lebendige Kurzgeschichte an, nicht wie eine Datenbank.
Zeige, lass raten, erkläre später lautet der dritte Trick. Gib dem Leser zwei Puzzleteile – ein rätselhaftes Amulett, einen zerrissenen Eid – und lass ihn die Lücke dazwischen erst einmal aushalten. Die Neugier, wie beide Stücke zusammenpassen, trägt ihn mühelos durch die nächsten Kapitel, ohne dass du vorab die ganze Hintergrundgeschichte ausrollen musst. Wichtig ist nur, dass diese Lücke später wirklich gefüllt wird; sonst wirkt der Prolog wie ein leeres Versprechen.
Der vierte Schutzwall heißt Ökonomie der Information. Setze dir eine Seiten- oder Zeichenobergrenze, bevor du schreibst. Viele erfolgreiche Autor*innen erlauben dem Prolog maximal 2.000 – 2.500 Wörter. Diese künstliche Enge zwingt dazu, nebensächliche Details auszusieben. Was du nicht unterbringen kannst, gehört vermutlich auch nicht hinein.
Schließlich sorgt eine nahtlose Verknüpfung dafür, dass der Prolog nicht wie ein Fremdkörper wirkt. Platziere ein Echo: Ein Satz, ein Objekt oder ein Geräusch aus dem Prolog taucht im ersten Kapitel erneut auf – vielleicht in anderer Bedeutung, aber erkennbar. So spürt der Leser intuitiv, dass Prolog und Haupttext demselben Organismus angehören.
Hältst du dich an diese fünf Prinzipien – Szene statt Lexikon, scharfer Fokus, Neugier durch Lücken, strenge Wortdiät und Echo in Kapitel 1 – bleibt dein Prolog schlank, atmosphärisch und spannend. Er liefert genau die Menge an Vorwissen, die den Leser anfixt, ohne ihn zu erschlagen, und macht damit aus der Einleitung ein Versprechen, dem der Rest des Buches mit Leichtigkeit nachkommen kann.
Kapitel 7 - Brauche ich überhaupt einen Prolog?
Stell dir den Prolog wie den Vorspann eines Films vor: manchmal unvergesslich, manchmal völlig überflüssig. Ob du ihn brauchst, lässt sich erstaunlich zuverlässig an drei Fragen ablesen.
Erste Frage: Spielt deine Auftaktszene außerhalb von Zeit oder Perspektive der Hauptfigur?
Wenn du ein Ereignis zeigen möchtest, das Hunderte Jahre vor der eigentlichen Handlung liegt, oder die Gedanken des Gegenspielers einfangen willst, bevor er überhaupt namentlich auftaucht, ist der Prolog nahezu alternativlos. Packst du dieselbe Szene in Kapitel 1, stört sie den Leserfluss, weil sie mit der Erwartung kollidiert, jetzt endlich den Protagonisten kennenzulernen.
Zweite Frage: Geht der Kern der Geschichte verloren, wenn die Leser*innen diese Vorab-Schnipsel nicht kennen?
Kann deine Story ohne Hintergrundwissen starten und später organisch erklären, was es mit der vergessenen Prophezeiung, dem alten Blutpakt oder der interstellaren Rebellion auf sich hat? Wenn ja, spar dir den Prolog. Alles, was nicht absolut notwendig ist, macht den Einstieg nur schwerfälliger. Wenn nein, wenn also jede spätere Szene ohne dieses Puzzleteil an Wirkung verliert, gehörte die Szene an den Anfang – und zwar deutlich erkennbar als Prolog.
Dritte Frage: Brauchst du einen emotionalen Vorschuss, um Spannung aufzubauen?
Der klassische Thriller-Prolog zeigt das erste Opfer, bevor der Ermittler die Bühne betritt. Der Fantasy-Prolog lässt einen Drachen sterben oder einen König einen verhängnisvollen Schwur leisten. In beiden Fällen weiß das Publikum sofort, dass unter der scheinbar ruhigen Oberfläche etwas brodelt. Wenn dein Kapitel 1 hingegen bereits mit einem feuerspeienden Konflikt startet, würde ein zusätzlicher Vorspann das Tempo eher bremsen als beflügeln.
Wer alle drei Fragen ehrlich beantwortet, merkt schnell: Der Prolog ist kein Stil-Luxus, sondern eine funktionale Entscheidung. Er kommt zum Einsatz, wenn eine Szene in der Vergangenheit oder aus Fremdsicht die Handlung tragfähiger macht, wenn sie unabdingbare Informationen liefert, die anderswo sperrig wirken würden, oder wenn sie die Spannungsschraube anzieht, bevor der eigentliche Held überhaupt merkt, dass es eine Schraube gibt. Fehlt einer dieser Gründe, ist ein knackiges Kapitel 1 fast immer der bessere Weg.
Kapitel 9 - Fazit – Türöffner in neue Welten
Ein Prolog ist kein Pflichtprogramm, aber ein mächtiges Werkzeug: Er kann große Epochensprünge elegant überbrücken, sofort Spannung entzünden und Leser*innen in Sekundenschnelle „Ja!“ oder „Nein!“ zum Buch sagen lassen. Gefährlich wird es nur, wenn er als Müllschlucker für Worldbuilding dient oder als literarisches „Hier noch schnell alles Wichtige“ missbraucht wird. Nutzt du ihn hingegen als pointierten Teaser – bewusst kurz, atmosphärisch und narrativ verknüpft – öffnet er nicht nur die Tür, sondern wirft deine Leser*innen direkt hinein in die neue Welt, die ab Kapitel 1 stürmisch weiterwachsen darf.
Also: Prolog ja – aber bitte mit Absicht, Biss und klarer Verbindung zur Hauptstory. Dann wird aus einem vermeintlichen Stolperstein ein glänzender Willkommensboden für jedes Abenteuer.
Und damit wünsche ich dir eine wundervolle Zeit und freue mich darauf, dich hier bald wieder zu sehen.
Dein Jerry
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