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[☆032] Auf den Spuren einer Legende - Kurzgeschichte

Hallo lieber Lesestern,


du hast "Not the Hero" bereits gelesen und willst noch mehr? Mehr von der Welt Hangaia, von den Charakteren und vor allem noch mehr zu ihren Hintergründen? Dann habe ich hier eine kleine Kurzgeschichte zu Marzy Zauvek, die Piros Vestica. Erfahre mehr über die Gründe, warum sie nach Skirtingai kam.


Schreib mir doch gerne in die Kommentare, wie dir die Geschichte gefällt! Ich freue mich über dein Feedback.


Dein Jerry


Weihnachtsbaum


Auf den Spuren einer Legende

Wenige Wochen vor den Ereignissen in ‘Not the Hero’


In einem gut versteckten Häuschen, nur umgeben von Blumen und Bäumen, lebt eine junge und im Augenblick recht verzweifelte Frau. Seufzend verschwindet sie hinter dicken Wälzern und zwischen prall gefüllten Bücherregalen. Allein ihr roter Schopf ist von außen noch zu sehen.

«Es kann doch nicht sein, dass es keine Lösung dafür gibt», murmelt Marzy vor sich hin und bekommt nicht mit, wie jemand ihre Hütte betritt.

«Du suchst immer noch?»

Verwirrt blinzelnd richtet sie sich ein Stück auf. Dabei fällt ihr Blick auf einen Mann mit violettem Haar und langen spitzen Ohren. Er ist in die Kleider eines Abenteurers gekleidet, die über unzählige Taschen verfügt. Er wirkt verärgert, und die blauen Augen sind verengt.

«Natürlich suche ich immer noch. Du könntest mir ruhig helfen, Sahir. Diese Insel ist schließlich auch deine Heimat.»

Empört bläst Marzy die Backen auf. Doch Saphirs Gesichtsausdruck bleibt konstant, was dazu führt, dass sie sich die Haare rauft und aus dem Nest auf ihrem Kopf ein noch größeres Durcheinander macht. Dann steht sie auf. Sie wischt sich den Staub von ihrem dunkelroten Kleid und greift nach einem schwarzen Hut mit weiter Krempe. Kommentarlos verlässt Marzy die Hütte und bleibt erst in ihrem Garten wieder stehen.

«So viele Jahre bin ich bereits eine Vestica, und habe alles gemacht und getan, um diese Insel zu beschützen. Und trotzdem …»

Marzy umschlingt sich selbst mit ihren Armen. Sie betrachtet das verfaulte Gemüse, die welken Blumen und die kahlen Bäume.

«Das ist nicht deine Schuld», sagt Sahir und stellt sich neben sie. Auch er lässt seinen sorgenvollen Blick über den Garten schweifen. Denn so wie hier, sieht es auf der gesamten Insel aus.

«Ich muss etwas tun. Ich kann nicht einfach dabei zusehen, wie …» Marzy unterbricht sich selbst und beißt sich auf die Lippe. Sie will es nicht wagen, ihre schlimmsten Befürchtungen auszusprechen, nicht wenn sie sich dadurch bewahrheiten könnten. «Es muss einfach eine Möglichkeit geben, um die Felder wieder fruchtbar zu machen und es regnen zu lassen.»

«Dann nutze Magie. Immerhin bist du eine Hexe.»

Nun ist es an Marzy, ihm einen zornigen Blick zuzuwerfen und sie faucht: «Magie ist nur für absolute Notfälle. Niemals könnte ich es verantworten, jemand Unschuldigen hier mit reinzuziehen. Zumal du doch siehst, was dann passiert. Diese Dürre sucht uns genau deshalb heim, weil jemand Magie missbraucht hat. Der Preis ist einfach zu hoch.»

Kopfschüttelnd geht sie an Sahir vorbei und pfeift einmal laut. So gleich schwingt sich eine braune Eule von einer Tanne und landet auf Marzys Schulter. Sie greift nach einem Besen, der an der Hauswand lehnt, setzt sich elegant auf den Holzstiel und erhebt sich in die Lüfte.

Unter ihr breitet sich das gesamte Ausmaß der Dürre aus. Vertrocknete Felder und braune Wälder soweit das Auge reicht, ein Anblick wie im späten Herbst. Nur dauert dieser Zustand bereits seit zwei Jahren an. Ohne Ernte leiden die Menschen, Dämonen und selbst die Kreaturen in den Wäldern, unter einer schrecklichen Hungersnot. Bald schon werden auch die letzten Brunnen leer, und der letzte Tropfen aus den Teichen geschöpft sein. Immer öfter trauen sich hungrige Wesen aus ihren Löchern hinaus und greifen Dörfer an. Die Menschen werden skrupelloser, und um ihre eigenen Mäuler zu stopfen, sind sie bereit anderen Schaden zuzufügen.

«Als Piros Vestica … nein, als ein Teil dieser Gemeinschaft muss ich etwas tun», murmelt sie. Zustimmend «Schuhut» die Eule und deutet mit ihrem Flügel zum Meer.

«Natürlich Ponta, du hast vollkommen Recht! Vielleicht weiß er ja Rat», ruft Marzy entzückt aus, als ihr klar wird, was der Flügelzeig bedeuten soll. Im Sturzflug fliegt sie bis zum äußersten Rande der Insel und landet an der Küste. Für einen Moment genießt sie die angenehme Brise, die der Wind zu ihr trägt. Wie er ihre Haare weiter verknotet und ihr Kleid aufbauscht. Sicherheitshalber nimmt sie den Hut ab, damit er nicht wegfliegt.

Schließlich dreht sie dem glitzernden Meer den Rücken zu und sieht gerade noch, wie Ponta in einer Höhle verschwindet. Sie folgt ihm und horcht dem Klang seiner Flügelschläge, die durch die Gesteinswände als Echo zu ihr getragen werden.

Sie geht immer tiefer hinein, bis auch das letzte Tageslicht verlischt. Doch selbst ohne Lichtquelle weiß Marzy genau, wohin sie gehen muss.

«Ah, ich dachte mir schon, dass du es bist», begrüßt sie nach einer Weile eine altbekannte Stimme. Vor ihr breitet sich ein großer Raum aus, in dessen Zentrum ein Baum steht. Um ihn herum fliegen lauter kleine Nahla, die wie eine Kreuzung aus Fisch und Biene aussehen. Dank ihnen ist dieser versteckte Ort gut beleuchtet, denn sie tragen mit Licht gefüllte Kugeln hinter sich her und lassen sich zwischen den Ästen des Baumes nieder. Auch er ist welk, allerdings nicht aufgrund der Dürre. Er ist nur bereits so alt wie die Welt selbst. Marzy macht das runzlige alte Gesicht in der Rinde aus und stellt sich lächelnd davor.

«Hallo Derevo, wie ich sehe, kümmern sich die Nahla noch immer gut um dich.»

«Sie sind in letzter Zeit etwas unruhig und doch so fleißig wie immer.» Sein gutmütiger Blick schweift über die Fischbienen, die zwischen seinen Wurzeln ruhen. «Aber du bist nicht deshalb hier, nicht wahr?», fragt er an Marzy gerichtet.

«Nein, leider nicht.» Sie schüttelt traurig den Kopf und fängt dann an, Derevo von der Dürre zu erzählen.

«Du suchst also etwas um den Preis der Magie zu überlisten?»

«Überlisten ist das falsche Wort. Als Vestica ist es meine Aufgabe, die Bewohner der Insel zu schützen und gleichwohl davon abzuhalten, Magie zu nutzen. Sie haben sich daran gehalten. Doch du weißt selbst, wie willkürlich der Preis ausfällt. Jeden Tag sterben Unschuldige und das weil sich irgendwo jemand in Hangaia mit Magie bereichert!»

«Hm … Du kennst das Schicksal und seine Wirrungen besser als ich. Auch was den Rat der Magie angeht und seine Gesetze. Da kann ich dir nicht helfen. Doch ich kann dir eine Legende erzählen.»

Ein aufgeregtes «Schuhu» dringt an Marzys Ohren, und Ponta, der bis eben mit den Nahla in der Baumkrone saß, gleitet zu ihr herab. Seine großen gelben Augen blicken den alten Derevo an, und er wartet gespannt auf die Geschichte. Auch Marzys Neugierde ist geweckt und sie setzt sich auf den Boden neben die Eule.

«Einst, als die Magie noch frei genutzt wurde, ohne jede Regel und ohne Vestica wie dich, gab es ein Dorf, das ganz besonders unter den Folgen litt. Immer öfter mussten sie den Preis der Magie zahlen. Und während ferne Herrscher sich Oasen des Luxus zauberten, verdorrten ihre Felder und die Brunnen vertrockneten.

Sterbend und flehend wandten sich die Menschen an die Herrscher, baten darum, sie mögen aufhören. Doch auch als sie ihrem Ende immer näher kamen, schenkten die Mächtigen ihnen kein Gehör. Je mehr Zeit verging, desto mehr Gegenden wurden von der Dürre heimgesucht, und selbst die widerständigsten Monster und Kreaturen erlagen der Hungersnot.»

Schwer schluckend erkennt Marzy die Parallelen zu ihrem eigenen Dilemma. Sie spürt, wie Ponta sich an sie heran schmiegt und zittert. Beide haben sie in ihrem Leben schon viel Leid mit ansehen müssen. Doch am schlimmsten war es immer dann, wenn die Betroffenen alle Hoffnung auf Hilfe verloren und ihnen klar wurde, dass moralische Werte ihre Bäuche nicht füllen konnten.

«Sie versuchten sich zu heilen, mit jeder nur erdenklichen Macht. Doch alles davon missglückte. Und als die Not immer größer wurde, war es ein Kind, in dessen Händen der Immergrüne Schein der Hoffnung neu erglomm. Hoffnung, für das von Magie zerstörte Land. Aus dem Schein wurde ein Samen, mit der Macht in jedem Boden fruchtbar zu keimen.»

Marzys Augen werden groß. Sie erinnert sich daran, bereits vom Immergrünen Samen gehört zu haben. Das Wissen darum zählt zu den Schätzen, die der Rat der Magie sie einst gelehrt hat, für alle Zeiten zu wahren. Ein magisches und unfassbar mächtiges Artefakt, das in der Lage ist, ein ganzes Reich vor dem Zerfall zu bewahren. Und genau aus diesem Grund ist die Nutzung auch strengstens verboten.

«Der Samen ist nur eine Legende, doch selbst wenn es ihn gibt, der Rat würde niemals erlauben, dass ich ihn verwende.»

Derevo stört sich nicht an ihren Worten und erzählt ungerührt weiter: «Durch den Samen wurden die Felder geheilt und die Bewohner des Reiches gerettet. Um ihn herum wurde ein Dorf gebaut, das irgendwann zu einer Stadt wurde und schließlich zum Mittelpunkt Nyáris, dem Königsland des Sommers. Doch der Sonnenkönig Matahari versteckte den Samen eines Tages in einem Garten, tief unter der Erde. Er war machthungrig und besessen davon Wesen und Artefakte zu sammeln.»

«Das Reich ist bereits vor hundert Jahren untergegangen und von der Fruchtbarkeit ist nicht mehr als eine Wüste übrig.»

Marzy legt ihren Kopf auf den Knien ab und umschlingt sich selbst mit ihren Armen. Hoffnungslosigkeit lässt sie erzittern.

«Magie, meine liebe Piros, ist weit weniger vergänglich, als du denkst», erklärt Derevo. «Der Samen ist dort. Du musst ihn nur finden und eine Entscheidung treffen, die dir als Vestica eigentlich verwehrt ist. Diese Tat wird das Schicksal verändern.»

Ihren Kopf schief legend sieht Marzy zu Ponta und starrt in die klugen Augen der Eule. Sanft lässt sie eine ihrer Hände durch sein Gefieder streichen.

«Es könnte uns beide in Gefahr bringen», flüstert sie. Doch der unerschrockene Blick der Eule macht ihr klar, dass Ponta bereits eine Entscheidung getroffen hat. «Auch wenn das bedeutet, dass der Rat von dir erfährt? Wir vielleicht sogar dafür von der Jägerin verfolgt werden?»

Ponta nickt. Er schüttelt sein Gefieder und breitet die Schwingen so weit aus wie möglich. Ein kräftiges Krächzen entkommt seinem Schnabel, ehe er sich in die Luft erhebt. Er fliegt zweimal um Derevo herum und steuert dann dem Ausgang der Höhle entgegen. Ein letztes Mal tief einatmend steht Marzy auf und legt ihre Hand auf die Baumrinde.

«Ich danke dir, mein Freund.»

Sie dreht sich um und folgt dieses Mal dem Klang des Meeres. Längst ist die Sonne dem Mond gewichen, der nun seinen Schein auf das Wasser wirft. Dunkle Wellen spülen allerhand Treibgut an den Strand und umschmeicheln Marzys Füße.

«Wie lange wartest du schon?», fragt sie in die Dunkelheit hinein, und ein Schatten löst sich vom Rand der Höhle. Sahir tritt neben sie. Auch sein Blick gleitet durch die Nacht.

«Du wirst gehen, nicht wahr?»

«Ja.»

Er nickt und dreht sich zu ihr. Obwohl sein Gesicht auch dieses Mal so wirkt, als wäre er wütend, ist sich Marzy sicher, dass es eigentlich Trauer ausdrücken soll.

«Ich komme zurück, das verspreche ich.»

«Darum sorge ich mich nicht, sondern viel mehr um den Preis, den du zahlen musst, um uns zu retten», erklärt er. Lächelnd umarmt sie Sahir. Dann entfernt sie sich ein paar Schritte und steigt wieder auf ihren Besen.

«Warte hier auf mich und beschütze unsere Insel.»

Sie fliegt immer höher in die Luft, bis sie ihre Heimat vollständig überblicken kann. Ein letzter Blick fällt dabei auf das Dorf, in dem all jene leben, die sie schützen möchte.

«Auf nach Skirtingai zum Garten des Sonnenkönigs!», flüstert sie und steuert direkt auf den Mond. Ponta krächzt zustimmend und lässt sich vom Wind hinter ihr her tragen.

 
 
 

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