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[❦013] Folge dem weißen Kaninchen | Woher kommt die Portalfantasy?

Hallo Bücherwurm,


wenn du schon einmal in ein Buch eingetaucht bist und das Gefühl hattest, in eine andere Welt gesogen zu werden, dann weißt du bereits, worum es bei Portalfantasy geht. Das ist das Genre, bei dem die Grenze zwischen unserer Welt und fantastischen, oft magischen Reichen nur eine schmale Tür, ein mysteriöser Spiegel oder, nun ja, ein schnelles Kaninchen weit entfernt ist. Einmal durch dieses Tor, und plötzlich stehen unsere Charaktere in einer Welt, in der das Unmögliche zum Alltag wird.


Aber woher kommt eigentlich dieses Genre, das uns durch Kaninchenlöcher und Kleiderschränke schickt? Welche Bedeutung steckt dahinter, und warum packt es uns so sehr, wenn jemand – gegen alle Vernunft – einem weißen Kaninchen folgt?

Lehn dich zurück, schnapp dir eine Tasse Tee (oder besser: einen Kessel voll Zaubertrank), und lass uns die Ursprünge und die Faszination der Portalfantasy gemeinsam erforschen!



Hase im Gras

Kapitel 1 - Was ist Portalfantasy überhaupt?

Portalfantasy beschreibt ein Genre in der Fantasyliteratur, bei dem die Protagonisten durch ein „Portal“ – also eine Art Übergangspunkt – aus unserer alltäglichen Welt in ein fremdes, fantastisches Reich gelangen. Das Portal kann alles sein: ein unscheinbarer Wandschrank (Die Chroniken von Narnia), ein gläserner Spiegel (Alice im Wunderland) oder sogar ein magisches Tor (The shadow within). Wichtig ist nur, dass es den Reisenden in eine andere Realität befördert.

Portalfantasy lebt von dem Kontrast zwischen der bekannten Welt und der neuen, außergewöhnlichen Welt, die für die Charaktere voller Überraschungen steckt. Die Spannung entsteht oft aus der Frage, wie „normale“ Menschen mit den außergewöhnlichen Herausforderungen, Kreaturen und Regeln dieser neuen Umgebung klarkommen.


Meiner Meinung nach, bietet Portalfantasy eine fantastische Spielwiese für Leser und Autoren gleichermaßen. Für Leser ist es eine Einladung, das Bekannte hinter sich zu lassen und sich in das Unbekannte zu stürzen. Sie können abschalten und sich voll und ganz auf die Reise durch fremde Orte einlassen. Für Autoren ist es eine Möglichkeit, der Fantasie freien Lauf zu lassen und neue Welten zu erschaffen, die dennoch durch das Portal eng mit unserer Realität verknüpft bleiben. Das macht Portalfantasy nicht nur spannend, sondern auch oft sehr zugänglich und lässt die Leser träumen – schließlich ist der Weg in die Magie nur einen Schritt entfernt.


 

Kapitel 2 - Mythologie oder auch die Urform der Portalfantasy

Bevor Alice im Wunderland oder Die Chroniken von Narnia uns in verzauberte Welten entführten, gab es bereits eine ganze Reihe von Geschichten, die das Konzept der Portalfantasy auf ihre Weise vorgedacht haben – diese finden wir in der Mythologie und der frühen Literatur vieler Kulturen. Überall auf der Welt finden sich uralte Erzählungen, die uns von Held*innen berichten, die in andere Reiche reisen und dort auf mächtige Wesen, unbekannte Gefahren und außergewöhnliche Kräfte stoßen. Diese Geschichten dienten oft nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als moralische oder spirituelle Lehren. Die Grenzen zwischen dieser Welt und der „anderen Seite“ waren in vielen dieser Mythen dünn, was die Grundidee der Portalfantasy in seiner Urform darstellt.

Lass uns also tiefer in die antiken Wurzeln des Genres eintauchen und einige der bekanntesten Beispiele und Legenden aufzeigen, die die moderne Portalfantasy beeinflusst haben.



2.1 Die griechische Mythologie und die Unterwelt

In der griechischen Mythologie ist der Übergang in andere Welten ein häufig wiederkehrendes Thema. Die Unterwelt, bekannt als Hades, ist ein Beispiel für eine „andere Welt“, die von Lebenden normalerweise nicht betreten werden kann. Doch einige mutige Helden und Götter haben es gewagt, dorthin zu reisen, was in gewisser Weise eine Art proto-portalfantastische Erfahrung darstellt.


  • Orpheus und Eurydike: Die Geschichte von Orpheus, dem begnadeten Musiker, der in die Unterwelt hinabsteigt, um seine geliebte Eurydike zurückzubringen, ist eine der ältesten Geschichten dieser Art. Orpheus betritt das Reich der Toten – eine düstere und gefährliche Welt, die den Lebenden fremd und bedrohlich erscheint. Mit seiner Musik bezaubert er die Unterwelt und handelt mit Hades einen Deal aus. Doch die Bedingungen sind streng, und letztendlich scheitert Orpheus an seiner Aufgabe. Dieses Abenteuer ist die Verkörperung des Konzepts einer Welt, die nur durch ein Portal (in diesem Fall den „Fluss des Vergessens“, Lethe) betreten werden kann.

  • Herakles und seine Reisen in die Unterwelt: Herakles, der wohl berühmteste Held der griechischen Mythologie, musste während seiner zwölf Aufgaben ebenfalls in die Unterwelt hinabsteigen, um den dreiköpfigen Wachhund Cerberus zu fangen. Auch hier wird die Unterwelt als ein gefährliches und fremdes Reich dargestellt, in das nur wenige Helden eintreten und wieder zurückkehren können.


2.2 Die keltische Anderwelt – Ein Reich voller Magie und Gefahren

In der keltischen Mythologie gibt es die Vorstellung einer „Anderwelt“, einem mystischen Reich, das oft als eine Parallelwelt beschrieben wird, die der unseren ähnelt, aber voller Magie und Wunder ist. Anders als die düstere griechische Unterwelt ist die keltische Anderwelt ein Ort voller Schönheit, Magie und Gefahren. Diese Parallelwelt wird oft durch bestimmte Übergänge wie Nebel, Wasser oder besondere Tore betreten, was sich stark mit dem Portalkonzept deckt.


  • Die Geschichte von Cú Chulainn: Der keltische Held Cú Chulainn gelangt in die Anderwelt, um dort Prüfungen zu bestehen und Abenteuer zu erleben. In der Anderwelt trifft er auf Feenwesen und kämpft gegen magische Kreaturen.

  • Tír na nÓg, das Land der ewigen Jugend: In irischen Mythen wird das mystische Reich Tír na nÓg oft als eine Art Parallelwelt beschrieben, in der Zeit und Alter nicht existieren. Nur wenige Sterbliche erhalten Zutritt zu diesem Land, und die Rückkehr ist meist mit einem hohen Preis verbunden. Geschichten wie die von Oisín, der von einer Feenprinzessin nach Tír na nÓg eingeladen wird, sind hier ein gutes Beispiel.


2.3 Die nordische Mythologie und der Weltenbaum Yggdrasil

In der nordischen Mythologie symbolisiert Yggdrasil, der Weltenbaum, die Verbindung zwischen verschiedenen Welten. Die Vorstellung, dass es mehrere Welten gibt – von denen jede ihre eigenen Gesetze und Kreaturen hat – ist ein weiteres Beispiel für das frühe Konzept der Portalfantasy. Die nordischen Götter und Helden reisten oft zwischen den Welten, was eine Struktur schuf, die der Portalfantasy ähnlich ist, wenn auch ohne ein konkretes „Tor“, außer man zähl den Bifröst, also die Regenbogenbrücke, als solches.


  • Asgard, Midgard und die anderen Welten: Die nordische Kosmologie umfasst neun Welten, die durch den Weltenbaum miteinander verbunden sind. Odin und andere Götter wandern zwischen diesen Reichen und erleben dabei oft Herausforderungen. Asgard ist das Reich der Götter, Midgard das Reich der Menschen, und Hel das düstere Totenreich. Diese Welten sind alle durch Yggdrasil verbunden und können nur über bestimmte Wege betreten werden.


2.4 Der Nahe Osten: Die Reise des Gilgamesch

Ein weiterer, sehr früher Prototyp der Portalfantasy ist das sumerische Gilgamesch-Epos, eine der ältesten literarischen Überlieferungen der Welt. Der Held Gilgamesch unternimmt eine epische Reise, bei der er mehrere symbolische Portale überschreitet, um Unsterblichkeit zu finden.


  • Die Wälder und das Meer der Toten: Gilgamesch durchquert einen geheimnisvollen Zedernwald, bewacht von Dämonen, und reist durch das Meer der Toten, was den Aspekt der anderen Welt und ihrer mystischen Gefahren stark unterstreicht. Auf seiner Reise trifft er göttliche und magische Wesen, die ihm helfen oder ihn auf die Probe stellen. Der gesamte Epos ist eine Art früher Entwurf dessen, was wir heute als Übergang in andere Welten bezeichnen würden – eine Reise an die Grenze des Menschenmöglichen.


 

Kapitel 3 - Die Evolution der Portalfantasy über die Jahrhunderte

Die Geschichte der Portalfantasy könnte fast schon klassisch beginnen mit: „Es war einmal ein Kaninchen mit einer Uhr…“

Lewis Carrolls Alice im Wunderland (1865) gilt als eine der frühesten und einflussreichsten Portalfantasy-Geschichten. Hier folgt das Mädchen Alice einem weißen Kaninchen in seinen Bau – und plötzlich findet sie sich in einer Welt voller skurriler Charaktere und wunderlicher Logik wieder. Carrolls Werk hat die Grundidee der Portalfantasy festgelegt: Ein ganz gewöhnliches Kind stolpert buchstäblich in eine Welt, die alles andere als gewöhnlich ist.

Das Faszinierende an Alice' Abenteuer ist bis heute, dass das Wunderland nicht nur ein Schauplatz für fantastische Erlebnisse ist, sondern auch eine satirische Reflexion der britischen Gesellschaft und Kultur. Carrolls Idee, eine alternative Welt zu erschaffen, die auf seltsame Weise unserer eigenen ähnelt und sie gleichzeitig karikiert, wurde zu einem Kernelement der Portalfantasy.


In Dantes Göttlicher Komödie (1320) durchwandert der Dichter eine fantastische, allegorische Welt – die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies. Dabei wird er von dem römischen Dichter Vergil und später von seiner geliebten Beatrice begleitet. Die Reise in diese „andere Welt“ ist von spiritueller Bedeutung und sinnbildlich zu verstehen.


Ein weiteres Beispiel aus der frühen Literatur ist Der Zauberer von Oz von L. Frank Baum (1900), wo Dorothy durch einen Wirbelsturm ins magische Land Oz gelangt. Die Parallelen zu Carrolls Alice sind hier offensichtlich, und doch fügt Baum dem Genre neue Elemente hinzu – insbesondere die Idee, dass die Rückkehr zur „normalen“ Welt genauso wichtig ist wie das Abenteuer selbst.


Wenn wir über Portalfantasy sprechen, darf Die Chroniken von Narnia von C. S. Lewis nicht fehlen. Lewis veröffentlichte das erste Narnia-Buch, Der König von Narnia, 1950 und entführt darin die Pevensie-Geschwister durch einen Kleiderschrank in das magische Land Narnia. Hier trifft die klassische Idee der Portalfantasy auf religiöse und moralische Symboliken, was dem Genre eine tiefere Dimension verleiht.

Lewis nutzte die Welt Narnia, um Fragen über Gut und Böse, Glauben und Opferbereitschaft zu erkunden, und seine Bücher gelten auch heute noch als Klassiker der Fantasy. Viele Fans und Kritiker sehen in der Narnia-Reihe einen Wendepunkt für die Portalfantasy, da sie zeigt, wie das Genre für komplexe philosophische und moralische Themen genutzt werden kann.


In den späten 20. Jahrhundert erlebte Portalfantasy dann einen Boom, besonders im Young Adult-Bereich. Bücher wie Die unendliche Geschichte (1979) von Michael Ende erweiterten das Genre und machten es für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen attraktiv. Hier lag der Fokus weniger auf der moralischen Lehre und mehr auf der inneren Reise der Protagonisten. Die Reise in die fantastische Welt wurde oft als Symbol für die Herausforderungen des Erwachsenwerdens interpretiert.

Ende zeigte mit seiner Geschichte, wie die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen können und wie die Fantasiewelt sogar Einfluss auf die reale Welt hat.


 

Kapitel 4 - Warum lieben wir Portalfantasy so sehr?

Portalfantasy bietet einen Ausweg aus der Realität und spricht damit einen tiefen menschlichen Wunsch an: den Wunsch nach Flucht und Abenteuer. Die Vorstellung, dass hinter jeder Ecke, jedem Spiegel und jedem unscheinbaren Kleiderschrank eine fantastische Welt voller Magie und Wunder warten könnte, ist unwiderstehlich. Gerade in stressigen Zeiten bietet Portalfantasy eine Art mentalen Kurzurlaub, einen Schritt weg vom Alltag, der uns neue Perspektiven und Träume schenkt.



Zudem ist die Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit ein faszinierendes Element. Die Protagonisten sind oft „normale“ Menschen – Kinder, Teenager oder Erwachsene – plötzlich mit dem Unbekannten konfrontiert werden. Durch ihre Augen erleben wir die fremde Welt und entdecken sie, als wären wir selbst dort. Der Gegensatz zwischen dem Bekannten und dem Mystischen zieht uns in seinen Bann und sorgt für emotionale Tiefe und Spannung.


 

Kapitel 5 - Portalfantasy heute – Wo steht das Genre?

In den letzten Jahrzehnten hat sich Portalfantasy ständig weiterentwickelt und ist heute vielfältiger denn je. Autoren experimentieren mit neuen Konzepten und Welten, in denen Portale nicht nur Übergänge, sondern oft auch Metaphern für persönliche Entwicklung und Identität sind. Bücher wie Harry Potter, Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers und selbst Science-Fiction-Werke wie Stranger Things greifen die Idee des „Portals“ auf und geben ihr eine moderne Note. Das bedeutet aber nicht auch direkt, dass es sich dabei um Portalfantasy handelt. Sondern nur, dass beliebte Elemente des Genres, auch in vielen weiteren Werken Anwendung finden.


Eine spannende Entwicklung der letzten Jahre ist zudem die sogenannte „dunkle Portalfantasy“, die das Genre mit Horror- und Mystery-Elementen vermischt. Hier werden die Portale nicht nur als Eingang in magische Reiche, sondern auch als Übergang in bedrohliche und düstere Welten dargestellt, die die Charaktere herausfordern und erschrecken. Werke wie Coraline von Neil Gaiman spielen gekonnt mit diesem düsteren Twist und zeigen, dass Portalfantasy nicht immer nur märchenhaft sein muss.


 

Kapitel 6 - Abschluss und Fazit

Portalfantasy ist ein Genre voller Vielfalt, das uns immer wieder in andere Welten entführt und gleichzeitig unsere eigene in einem neuen Licht erscheinen lässt. Die Geschichte des Genres zeigt, dass es sich stetig weiterentwickelt und neue Leser aller Altersgruppen in seinen Bann zieht. Egal ob klassisch, dunkel oder humorvoll – solange es den Traum von einer „anderen Seite“ gibt, wird Portalfantasy weiterhin unsere Fantasie beflügeln. Und an dem Isekai-Hype in Japan kann man deutlich sehen, dass Portalfantasy und ähnliches, noch lange nicht gestorben ist. Ganz im Gegenteil! Schließlich sind die hier aufgezählten Klassiker, so sehr in der Gemeinschaft der Leseratten verankert, dass kaum einer bei Titeln wie "Alice im Wunderland" oder "Narnia" noch groß nachfragen muss. Selbst wenn man sie nicht gelesen oder die Filme dazu gesehen hat, sind sie immer noch allseits bekannt.


Und damit wünsche ich dir einen schönen Tag und wir lesen uns bald wieder.

Dein Jerry


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